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Richards erlebnisreiche Jugendreise nach Kroatien nebst Gruselfaktor

Von Richard am 8. Juni 2012 veröffentlicht

Da stehe ich nun mit meinem Reisekoffer, der kleinen blauen Brotdose, in der ich mein Taschengeld für die Reise gesteckt habe und meinem Ticket nach Kroatien. Den Flyer “Reisen für Jugendliche” knülle ich in mein Handgepäck. Die stickige Flughafenluft und das Gedränge bei der Gepäckabgabe, geben mir das Gefühl von purer Abenteuerlust – oh, ja. Bald werde ich auf dem kleinen Campingplatz des Ferienparks “Petalon” mit meinen Freunden David und Benjamin entspannen und die Schule hinter mir lassen. Da wir keinen fahrbaren Untersatz in Kroatien haben, haben wir uns im Voraus ein Wohnmobil gemietet, mit dem wir durch das Land touren werden. Wirklich günstige Wohnmobile haben wir übers Internet gefunden, genau wie unseren Campingplatz, auf dem wir unsere Freizeit verbringen werden.

Aber erst muss ich mich durch diese Flughafenhölle hier kämpfen, deren Lärm mich meine eigenen Gedanken nicht mehr hören lässt. Mein Gott, was drängeln die Leute so, als wäre das der Sommerschlussverkauf! Ein alter Herr, der sich vor mir durch den Sicherheitsbereich begibt, hat sich zum wiederholten Mal die Schweißperlen von der Stirn gewischt. Jetzt merke ich erst wie heiß und stickig es tatsächlich ist und es dauert schier eine Ewigkeit, bis auch ich durch den Sicherheitsbereich gekommen bin. Und da warten auch schon David und Benjamin auf mich. “Hey, Alter. Alles fit?” “Jo, kann’ losgehen”, antworte ich und laufe mit meinen Freunden zum Flugzeug.

Endlich im Flugzeug angekommen, stopfe ich mein Handgepäck ins Gepäckfach und setze mich auf meinen Platz – hm, ob es wohl von Vorteil ist, in der Mitte einer Sitzreihe zu sitzen? Naja, vielleicht setzen sich ja zwei heiße Schönheiten rechts und links von mir hin. Bei dem Gedanken kann ich mir ein verschmitztes Grinsen nicht verkneifen. Doch – wie könnte es auch anders sein – kommt es anders als gedacht: ein ziemlich rundes Ehepaar kommt ächzend auf mich und meine zwei freien Plätze zu. Nein, bitte nicht! Zu spät: Sie haben Platz genommen! Meinen Kumpels geht es da schon besser: Sie haben eine nette blonde Schönheit in ihrer Mitte sitzen, die sich angeregt mit ihnen unterhält – Was für Glückspilze!

Immer wieder kommt mir der Geruch von beißendem Schweiß in die Nase. Dem Herrn neben mir tropft förmlich die Soße von der Stirn. Am liebsten würde ich mich von meinem Platz entfernen und mich zu meinen Freunden und der netten Blondine setzen, doch da höre ich die Stimme des Kapitäns, der seine Passagiere an Board willkommen heißt. Ich klappe die Armlehnen rechts und links hoch um mir zwischen den beiden Herrschaften ein wenig mehr Platz zu schaffen, doch kaum sind die Armlehnen aufgeklappt, nehmen auch schon die Arme meiner Sitznachbarn darauf Platz. “Gute Idee, mein Freund”, sagt der Herr und kuschelt sich in seinen Sitz. “Weck mich, wenn wir angekommen sind” und bevor ich meinen Ärger über die verlorenen Sitzlehnen preisgeben kann, ist er auch schon eingenickt. Na toll! Gut, was soll’s – ich hole mir meinen CD-Player vom Gepäckfach heraus und möchte gerade Musik hören, als mich die Stewardess freundlich unterbricht und mich fragt, ob ich etwas zu trinken oder zu essen möchte. Ich bejahe höflich und sie gibt mir einen Becher Orangensaft, den ich in den Becherhalter vor meinem Sitz stelle.

Nach einer Weile habe ich dringend das Bedürfnis auf die Toilette zu gehen und so kommt es, dass ich der dicken Frau neben mir die eine fatale Frage stelle: “Entschuldigung, könnte ich kurz mal vorbei?” “Klar, kein Problem”, antwortet diese, doch anstatt aufzustehen und mich durchzulassen, packt sie sich ihr Essen, das sie auf dem Klapptisch vor dem Sitz ausgebreitet hatte, und gibt mir ein Zeichen, mich nun durch ihre Beine zu quetschen. Ich bin kurz davor, mich einfach wieder hinzusetzen und meine Blase in die Schranken zu weisen, doch sie gibt den Ton an und so drücke ich mich durch die nackten, verschwitzten Oberschenkel auf den Flugzeuggang. Igitt – aber egal: Ich muss auf die Toilette!

Doch wieder ein Hindernis: Beide Toilettenkabinen sind besetzt! Ich wippe nervös mit dem Fuß und versuche, dem Blasendruck standzuhalten, da höre ich doch die Stimme des Kapitäns “Sehr geehrte Fluggäste. Bitte legen Sie Ihre Sicherheitsgurte an, da wir durch ein Gewitter einige Turbolenzen erwarten”. Hektisches Anschnallen der Fluggäste – da fliegt die Toilettentür auf und ein junger Mann hetzt auf seinen Sitzplatz. Schnell meine Blase erleichtern, dann das gleiche tun, denke ich bei mir. Doch kaum sitze ich auf dem Toilettensitz (ganz recht: Auch Männer können sitzen!), höre ich ein lautes “Kabuuuum!”. Gewitter! Wie vom Kapitän vorausgesagt. Ich will mich beeilen, doch es läuft und läuft und läuft… Plötzlich ein Luftloch – oh, nein! Der Toiletteninhalt hat sich selbstständig gemacht. Verzweifelt versuche ich, meine Hose trocken zu bekommen. Ein Versuch, der leider bei der mickrigen Leistung des Toiletten-Handtrockners ein hoffnungsloses Unterfangen bleibt. Genervt verlasse ich die Toilette und meine Laune wird auch beim Anblick meiner Sitznachbarin nicht besser. Wenigstens sind die Turbulenzen weniger geworden, also sehe ich mich Imstande, mich ohne Hilfe meiner Sitznachbarin wieder auf meinen Platz zu begeben. Doch genau in dem Moment, in dem ich ein Bein schon auf meinem Sitz habe, macht das Flugzeug einen Schwenker und ich sitze auf dem Schoß der Frau. “Huch, nicht so stürmisch, junger Mann!”, sagt die Frau erschrocken. Peinlich berührt entschuldige ich mich bei ihr und versuche, ihr für den Rest des Fluges nicht in die Augen schauen zu müssen.

“Sehr geehrte Passagiere, wir haben soeben Vrsar erreicht! Wir hoffen, Sie hatten einen angenehmen Flug mit unserer Airline und beehren uns bald mal wieder” Kommentarlos über diesen Witz verlasse ich das Flugzeug – David und Benjamin kommen nach mir aus der Maschine. “Alter, war das cool! Die kleine Blonde hieß Bianca und die hat ihren Urlaub in Deutschland verbracht.”, sagt Benjamin und reibt mir einen Zettel mit einer Telefonnummer unter die Nase. “Ihr Glücklichen – für mich war’s eher eine Jugendreise nebst Gruselfaktor, jedenfalls der Flug dahin”, antworte ich und winke ohne ein weiteres Wort ein Taxi herbei. Meine beiden Freunde David und Benjamin schauen mich verdutzt an und zucken ratlos mit den Schultern.

 

Ein denkwürdiger Ausflug

Von Pudelwohl am 7. März 2012 veröffentlicht

Der Weg schien kein Ende zu nehmen und Kathrin wurde immer gereizter. Noch nie war ihr eine Wanderung auf dem Rheinsteig so lang erschienen. Normalerweise bot der 320 km lange Wanderweg zwischen Wiesbaden und Bonn durch schöne Landschaften und Aussichtspunkte zuviel Abwechslung um bei einer leidenschaftlichen Wanderin, wie sie es war, Langeweile aufkommen zu lassen. Es war ihr Ehemann, der ihr den Weg in doppeltem Sinne verlängerte. Peter, der ohnehin nicht mit ihrem Tempo mithalten konnte, lief seit der Mittagspause noch langsamer und schwitzte und ächzte noch mehr. Warum hatte er auch fast zwei Liter Bier in sich hineingießen müssen? Und dazu noch das fettige Essen …

Am Schlimmsten aber war, dass selbst die offensichtliche Erschöpfung ihn keineswegs davon abhielt, ununterbrochen zu reden. Wenn er sich nicht gerade über die Anstrengung beklagte, sprach er über nichts anderes als seine Arbeit und das auf so quälend langweilige und umständliche Weise, dass es Kathrin nicht nur schwer fiel, ihm zuzuhören, sondern sie auch immer wütender machte. Alles an ihm regte sie auf, seine Sprache, seine Gestik und sogar sie Art, wie er sich gerade die verschwitzte Stirn wischte. Kathrin konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie angefangen hatte, sich vor ihrem Mann zu ekeln. Besonders seine Passivität regte sie auf. In den fünf Jahren ihrer Ehe hatte sie sich oft gefragt, was sie am Anfang an ihm gefunden hatte und war selten zu einer Antwort gelangt. War es am Ende doch nur das Geld gewesen? Damals hatte sie es sich wohl nicht eingestehen wollen.

Was sie noch mehr gegen ihn aufbrachte, war dass ihn ihre offenkundige Abneigung nicht einmal zu stören schien. Selbst darüber, dass sie seit mehr als einem Jahr nicht miteinander geschlafen hatten, hatte er sich nie beklagt. Das war typisch für ihn! Zuhause wollte er nur in Ruhe vor dem Fernseher sitzen. Wenn man ihm dann einmal seine Gesellschaft aufnötigte, bequatschte er einen mit dem größten Unsinn.

“Im Büro verfolge ich schon fleißig die Zeitarbeitsfirmen im Internet. Jobs Düsseldorf gibt es doch genug! Vielleicht finde ich bald eine neue Anstellung. Dann bin ich endlich weg von dem Drecksladen!”, erzählte er gerade.

„Das ist ja nicht auszuhalten! Er verdient doch gut. Die Kollegen sind alle sehr nett. Er ist doch das eigentliche Problem!“ dachte Kathrin. Wie konnte ein Mensch so sprechen?

Endlich kamen sie an die Stelle. Vor kurzem hatten sie, nachdem sie die letzte kleine Ortschaft passiert hatten, einen Wald betreten.

„Zweihundert Meter weiter“, hatte die Dame, mit der sie sich bei ihrer letzten Rheinsteig-Tour zufällig unterhalten hatte, gesagt, „verlassen sie den Weg und laufen ein Stück durch den Wald und dann über eine Wiese.“

„Wir sollen durch den Wald laufen?“, fragte Peter genervt.

Kathrin zwang sich ein Lächeln auf und antwortete: „Dafür werden wir mit dem schönsten Ausblick über das ganze Rheintal belohnt.“

Als sie den kurzen Waldabschnitt passiert hatten, traten sie auf die Wiese hinaus und Kathrin sah sofort, dass sie sich auf dem Hügelkamm befanden. Ein paar Meter weiter sah sie den Felsen, der sich wie eine Hundeschnauze in das Tal hineinstreckte. Der Anblick von hier oben war wirklich atemberaubend. Gerade ging die Sonne unter und tauchte den Rhein, der sich in Kurven durch das Tal schlängelte, in ein rotgoldenes Licht.

Im Gegensatz zu den Aussichtspunkten, die direkt am Rheinsteig lagen, wie zum Beispiel dem berühmten Loreleyfelsen, war diese Stelle nicht durch einen Zaun oder ein Gitter gesichert.

Kein Mensch käme hierher, hatte ihr die Frau vorgeschwärmt; wenn man dorthin ginge, habe man auf jeden Fall seine Ruhe, selbst wenn der Wanderweg am Wochenende völlig überlaufen sei.

Kathrin war sofort von diesem Geheimtipp begeistert gewesen und nach längerem Nachdenken, war ihr noch eine ganz andere Idee gekommen.

„Lass uns wieder gehen“, motzte Peter hinter ihr. „Es wird schon dunkel und wir müssen doch die Bahn erwischen. Bis zur nächsten Stadt ist es sicher noch eine gute Stunde.“

„Komm doch hierher, Schatz“, sagte Kathrin in der süßesten Stimme, die sie zustande brachte und trat auf den Felsen hinaus. Unter ihr ging es steil nach unten. Sie trat einen Schritt zurück und Peter trat an den Rand.

„Siehst Du das da unten?“, fragte sie.

„Was denn?“

Peter trat noch einen weiteren Schritt an den Rand des Felsens heran, und beugte sich hinunter zu der Stelle, auf die ihr Finger zeigte.

Mehr war nicht nötig gewesen! Kathrin holte aus und versetzte ihm mit beiden Handflächen einen kräftigen Stoß in den Rücken. Beide gerieten ins Taumeln, doch bei Kathrin war es nur ein kurzer Moment. Peter hingegen hatte keine Chance, sein Gleichgewicht zu halten und stürzte kopfüber in den Abgrund. Er hatte nicht einmal Zeit, einen Schrei auszustoßen.

Kathrin hatte diesen Moment lange herbeigesehnt, den Moment ihrer Befreiung. Jetzt war sie aber wie paralysiert. Mit einem Mal wurde ihr die Tragweite ihrer Handlung bewusst. Was hatte sie getan? Sie hatte ein Menschenleben ausgelöscht. Und warum? Weil er unaufmerksam war, passiv und langweilig? Er hatte sie nie betrogen oder geschlagen. Eigentlich hatte er überhaupt nie etwas Schlimmes getan. Und war sie überhaupt besser gewesen? Sie mit ihrer ganzen Aggression und sinnloser Wut? Sie war doch das Problem gewesen und nicht er.

Diese Gedanken stürmten alle gleichzeitig auf sie ein und ein Schrei entrang sich ihrer Brust: „Peter!“

„Hier…“, klang plötzlich eine schwache Stimme aus dem Abgrund.

Erschrocken rannte Kathrin zu der Klippe, ging in die Knie und sah hinab. Dort saß Peter, etwa drei Meter unter ihr auf einem Felsvorsprung. Er blutete aus einer Platzwunde am Kopf, schien aber ansonsten unverletzt zu sein.

„Was ist passiert?“, fragte er mit zitternder Stimme. „Mein Kopf tut weh. Wie komme ich hierher?“

„Er lebt!“ jubelte Kathrin innerlich. „Und er erinnert sich nicht! Jetzt wird alles gut!“

„Du bist gestürzt.“, sagte sie laut. „Wie geht es dir?“

Peters Jammerattitüde war mit einem Mal verschwunden.

„Geht schon“, antwortete er. „Warte, ich komm hoch.“

Der träge unsportliche Peter kletterte plötzlich mit ungeahnter Behändigkeit den Felsen hoch, fand halt an einem kleinen Vorsprung und einer Wurzel und wenige Sekunden später konnte Kathrin oben seine Hand fassen und ihn hochziehen.

Hysterisch weinend fiel sie ihm in die Arme. „Ich hatte solche Angst um dich! Ich liebe dich!“ schrie sie unter Tränen. Sie hatte eine zweite Chance erhalten. Gott hatte ihr vergeben. Nie wieder würde sie sich über ihren Mann beklagen. Und wenn er auch ein bisschen langweilig war, was machte das schon? Es gab wirklich Schlimmeres. Vor allem würde sie sich nicht mehr über ihn aufregen.

Peter schien seltsam ungerührt als er sie eine Weile wortlos im Arm hielt. „Schon gut, schon gut.“ murmelte er dann. „Beruhige dich. Lass uns jetzt gehen.“

Kathrin erhob sich langsam. In diesem Moment traf sie ein Stoß, der ungleich härter war als der, den sie zuvor Peter versetzt hatte. Dieser Stoß war besser gezielt, so dass sie an dem Vorsprung vorbei unaufhaltsam in die Tiefe stürzte. Für einen letzten Gedanken blieb ihr kaum Zeit. Alles, was sie kurz vor dem tödlichen Aufschlag empfand war ein einziges großes Unverständnis.

„Schlampe“, murmelte Peter, als er den Weg zurücklief und sich auf einen entspannten Abend vor dem Fernseher freute.

Ewige Liebe

Von vampirweihnacht am 3. Februar 2012 veröffentlicht

Schwarze Weihnachten. Auf diese Party habe ich mich schon so ungefähr seit Ewigkeiten gefreut. Mindestens seit November, als ich mir im Anti-Schick diese Lackschuhe gekauft hatte. Ich bin total aufgeregt. Wir sind nun alle so undergroundig, die Mädels und ich.
Das ist wie der Eintritt in eine utopische Welt. So etwas wie die coole Erleuchtung. Vor kurzem war man noch unscheinbar und auf einem Schlag wird das Leben zur alternativen Liebesgeschichte, die gleichzeitig eine Independent-Rockoper ist.

Vampirmädchen

Auf der Feier gibt es viele Fraktionen. Das finde ich eher dämlich. Da legen sich gar nicht Wenige extrem fest. Sie sind reine Gruftis oder reine Punks oder hundertprozentig Waver. Möchte ich nicht verurteilen. Ganz im Gegenteil. Wir schreiben das Jahr 1987. Da kann jeder machen, was er will. Außerdem ist es viel aufregender, wenn Leute tonnenweise Haarspray einsetzen, um sich gigantische Flats oder Gruftimähnen zu stylen. Nur ich möchte eben schon noch klassisch gut aussehen, weiblich, mit langen blonden Haaren. Mir braucht da niemand etwas zu erzählen von “Style geht vor”. Die Jungs stehen nicht auf Mode, sondern auf Reize. Daran kann kein Subkultur-Knigge etwas ändern. Lieber ein wenig pseudo und eine glatte Sieben (mit Tendenzen zur Acht), anstatt den Popkulturtest mit einem originellen Mädchenirokesen zu bestehen und deshalb nur Fünf zu sein.
Ich ziehe mir die Overknees unauffällig zurecht und bemerke, wie all die schwarz gekleideten Jungs mit den Bierflaschen mich grinsend anstarren. Heute könnte ich auf eine glatte Acht kommen.

Auf der Tanzfläche geht es ab. Traue mich gar nicht in die Nähe. Ist auch gerade Pogozone. Sie spielen “Anarchy in the UK” und alles tritt aufeinander ein. Viele fliegen immer wieder auf den Boden; alle bis auf den großen Alpha-Psychobilly, der mit seinen breiten Schultern alles wegfegt, was ihm in die Quere kommt. Gerade beginne ich, mich zu ihm hingezogen zu fühlen, da taucht dieser Typ auf. Der aus der Levis Werbung. Es ist nicht genau der, was gut ist, er sieht nämlich noch besser aus. Weil er da ist und auf die gleiche Weise Subkultur wie ich. Er ist weder Ted noch Popper, erinnert aber von seinem Blick irgendwie an James Dean. Unter seiner Rockerlederjacke trägt er eine Jeansjacke und darunter ein Sisters of Mercy T-Shirt. First and last and always. Ich habe das Gleiche im Schrank. Wahrscheinlich hat er es wie ich im WOM gekauft. Ich könnte schreien. Selten war ich mir so sicher, dass meine Entscheidung für die ewige Jugend richtig war.

Er tanzt in meiner Nähe. Glaube er hat mich bemerkt. Jetzt spricht er mich an, versucht empathisch zu sein. Er denkt wirklich, dass er die Situation kontrolliert. Dabei habe ich in den vorhergehenden Sekunden über sein Schicksal entschieden. Er hat absolut keine Ahnung, was ihn erwartet und aus seinen hübschen aber harmlosen Leben herausholen wird. Das ist so süß.

Es breitet sich eine kleine Panik unter den Leuten aus. Alarm! Angeblich sollen um die fünfzig Teds kommen. Die haben es auf die Waver und Gruftis abgesehen. Ich mache mir auch ein wenig Sorgen. Um meinen Abend. Um mein Dessert. Nicht dass irgendein Schlägertyp plötzlich neidisch wird, weil er die Welt der James Dean Man-Gods auf einmal vor sich stehen hat und auf das eindrischt, was ihm von Natur aus verwehrt wurde.
Er will nicht feige wirken, während ich ihm zwischen den Zeilen klarmache, dass es mitnichten um seine oder meine Sicherheit geht, sondern dass ich nur nach einem Grund suche, ihn an einen stillen Ort zu locken. Wir knutschen. Ich führe seine Hand unter meinen Rolli. Er kapiert. Wir gehen Hand in Hand nach draußen.

Wir suchen in einer stillen Straße nach einer Stelle, die niemand sehen kann. Knutschend drücke ich ihn gegen eine Hauswand. Ich freue mich schon darauf, ihn auf die vielfältigsten Weisen zu vernaschen. Doch ich muss mich beherrschen. Ich will ihn nicht nur haben, sondern zu seinem Mythos werden. Das große Rätsel seines ewig langen Lebens. Er ist auserwählt, ob er es will oder nicht. Viele Männer würden wahrscheinlich mit ihm tauschen wollen. Auch wenn sie wüssten, dass sie keine normale Romanze vor sich haben, sondern die aufregendste Vampir-Liebesgeschichte, die je ein sterblicher Junge aus unserer Stadt erleben durfte.
Meine herausfahrenden Fangzähne wird er vergessen. In diesem angetrunkenen Zustand wird er sich vermutlich gerade mal an irgendetwas scharfes Blondes erinnern können, das mit ihm herumgemacht hat. Sein Blut schmeckt nach Jugend. Es ist so rebellisch. Während des Trinkens nehme ich einen Hauch seiner Hoffnungen und Fantasien wahr. Doch ich muss von ihm ablassen. Es werden noch viele Gelegenheiten kommen, von ihm zu kosten, denn ich kann ihn jetzt immer fühlen, egal wo er sich gerade aufhält. Kurz überlege ich, ihn in mein gespieltes Leben zu lassen, ihn meinen Freundinnen aus der Schule vorzustellen, in die ich mit gefälschten Unterlagen und der Hilfe eines befreundeten Vampirpaares hineinkam, die sich als meine Eltern ausgegeben hatten. Aber nein. Was er braucht, ist das Unerreichbare, das ihm Rätsel aufgibt. Und das nun wirklich aufhören muss, von ihm zu trinken, wenn es ihn nicht jetzt schon in einen Vampir verwandeln möchte. Ich höre auf. Er schaut mich fragend an, doch in seinen Augen breitet sich bereits das Vergessen aus.

Totgesagte leben länger

Von barb am 24. Mai 2011 veröffentlicht

Weltweit gibt es etliche Katastrophen, bei denen nicht alle Tote geborgen und identifiziert werden können. Dabei kommt es immer wieder vor, dass tot geglaubte, überlebende Personen die Gunst der Stunde nutzen, um ein neues Leben zu beginnen.

Bruno P. (52) räkelte sich auf seiner Strandmatte. Das Leben war schön: Blauer Himmel, strahlende Sonne und ein Sandstrand, von dem man normalerweise nur träumen konnte.

P. lebte nun schon seit 2 Jahren hier, wobei er sich jetzt Mike nannte. Für seinen Nachnamen interessierte sich kaum jemand. In seiner Surfschule sprachen sich alle beim Vornamen an.

Bruno vermisste sein altes Leben nicht: Eine quengelige Frau zu Hause, die jeden Tag beim Shoppen sein sauer verdientes Geld ausgab, dass er als Versicherungsagent verdient hatte. Dazu der immer gleiche Trott und das schlechte Wetter in Deutschland.

Bei einem Schiffsunglück wäre er fast ums Leben gekommen, wenn er nicht im letzten Moment die Rettungsinsel zu fassen bekommen hätte. Über eine Woche lang war er auf dem Meer unterwegs gewesen. Während dieser Zeit reifte sein Entschluss: Er würde, wenn alles gut ginge, nicht mehr nach Hause zurückkehren. Dann hatten ihn Einheimische an Land gezogen.

Bruno hatte Glück. Er konnte bei einem reichen Mann als Hausbetreuer arbeiten. Nach eineinhalb Jahren hatte er so viel Geld mit kleinen Nebengeschäften verdient, dass er seinen Traum von einer eigenen Surfschule verwirklichen konnte.

Bruno nahm ein Stück Melone aus der eisgekühlten Schale neben sich und biss hinein, als ein großer Schatten über ihm aufragte. Bruno drehte sich um und sah einen Mann in einem grauen Anzug und einem Strohhut vor sich. „Guten Tag, mein Name ist Berti Hahn von der Sonnenberg Detektei in Bottrop. Und das ist wohl Ihre Ehefrau?“

Bruno blieb der Bissen im Halse stecken. Einige Meter weiter stand unverkennbar seine Frau. Sie hatte noch ein paar Kilo zugenommen. Ihr Haar war grell gefärbt und sie hatte sich es offensichtlich mit seiner Versicherungsprämie gut gehen lassen. Ihre Kleidung war teuer, aber geschmacklos.

„Haben wir dich endlich geschnappt, du gemeiner Betrüger. Die ganzen Observationen haben zum Glück gefruchtet. Ich wusste doch, dass du nicht tot bist,“ keifte jetzt seine Frau.

Bruno schreckte hoch, schnappte nach Luft und öffnete die Augen. Es war nur das Meeresrauschen zu hören. Kein Mensch weit und breit zu sehen.

Wann würden diese Albträume endlich aufhören?

 

Hundeschädel und Dickdarm

Von regaho am 17. Juni 2010 veröffentlicht

Es ist wieder soweit! Ich merke, dass ich mich nicht länger wachhalten kann. Aber ich muss. Es kann nicht mehr so weiter gehen. Ich will nicht schlafen. Bitte nicht, biitte… biii…

Okay verdammt, da bin ich wieder. In einem riesigen Hundeschädel. Fröstelnd sehe ich mich um. Bett, Tisch, Schrank, Stuhl,Teppich. Ich schaue wieder mal dem Hund aus dem Auge – Sternenhimmel.  Sterne wohin ich blicke, beziehungsweise wohin ich mit dem Hund blicke, oder der Hund mit mir – ach ist ja auch egal. Ich reisse mich mit aller Gewalt zusammen und möchte mich an den Tisch setzen. Ich bin hungrig. Da kommt mir der schöne Obstteller genau recht. Ich sitze und schon verliere ich an Boden, meine Füße schweben plötzlich hoch in der Luft. Bevor mir so richtig schwindlig wird, finde ich mich auch schon wieder zusammengekauert in einem Hobbithaus. Nur Glasboden unter den Füßen – darunter 2000m Luft. Aber ich falle nicht. Ich werde mit einem Affenzahn ins Weltall geschossen.

Jetzt wird das ganze noch rasanter. Ich kenne es ja von letzten Träumen. Immer mehr. Immer blöder. Ich hab die Nase voll. Gerade noch in einem Haus, bei dem sämtliche Möbel an der Decke hängen- hinein in eine Kugel, die irgendwo, irgendwie in der Luft schwebt. Eingeschlossen unter Wasser – in einer Köhlerhütte – rein in eine Designerkapsel, wo selbst meine Platzangst noch Angst bekommt. Dann wird es still und schwarz um mich. Vollkommende Stille. Herrlich! Ich taste mich an einer Wand lang und spüre ein Stück Metall in der Höhe meines Bauchnabels. Das könnte ein… eine Türklinke. Vorsichtig drücke ich sie nach unten und es öffnet sich eine Tür. Ich blicke auf eine sattgrüne Wiese. Beim Umdrehen merke ich, dass ich in einem Dickdarm war.

Schweissgebadet wache ich auf und schwöre mir nie wieder  die Site http://www.schau-mal.com anzuschauen und schon gar nicht:

CasAnus – das Dickdarmhotel- 9h Hotel mit Designerkapseln- Kolarbyn das Köhlercamp – die Undersea Lodge – die Free Spirit Spheres – das verrückte Haus – die Virgin Galactic – den Grand canyon Skywalk – der Woodlynn Park – Dinner in the Sky – und den Dog Park mit seinem riesigen Hund.

Und jetzt soll ich mir vielleicht auch noch das ebook zu diesem ganzem Wahnsinn auf www.hotel-ebook.com kaufen – na wirklich nicht.

Vincent Persey und der Verfolger

Von barb am 12. April 2010 veröffentlicht

„Was will der Mann in der Stretchlimousine?“
Als Mr. Vincent Persey sich heute Abend auf den Weg nach Hause machte, wollte er, wie gewöhnlich, die U14 der Londoner U-Bahn vom Bahnhof Princeline nehmen, um nach Westbridge zu fahren, ein Vorort von London, der so furchtbar-spießige Menschen beherbergte, dass das erste herabfallende Blatt im Herbst zu wilden Diskussionen am Gartenzaun führte. Würde es nicht sofort beseitigt werden, so bestünde schließlich die leicht nachvollziehbare Gefahr, dass das Blatt auf das Nachbargrundstück fallen könnte und dann dort beseitigt werden müsste.
Normalerweise beendet Mr. Persey seine täglichen Aufgaben bei Slummings & Partners punktgenau um 18:00 Uhr, fährt mit der U14 um 18:12 Uhr los und kommt exakt um 18:59 Uhr vor seiner Haustür in der While-Lane in Westbridge an. Heute war jedoch ein besonderer Tag im Büro und er musste auf Grund eines ausländischen Investors wesentlich länger bleiben. Er war für die Finanzierungsgeschäfte bei Slummings & Partners verantwortlich. Solche Unregelmäßigkeiten mochte Mr. Persey gar nicht gern. Er hasste Sie.
Als die geschäftlichen Gespräche beendet waren, zeigte seine Uhr, dass es bereits nach 23:00 Uhr war. Seiner Frau hatte er zwischenzeitlich eine SMS geschickt (eine der wenigen Errungenschaften des 21. Jahrhunderts, dem sich Mr. Persey nicht absolut verschlossen gegenüberstellte – sein Handy, dass er nach vehementen Forderungen seiner Frau Mrs. Lenore Persey nun immer bei sich trug).
Als er aus der Eingangshalle bei Slummings in den Abend hinaus schritt, stellte er fest, dass es schon dunkel war. Auch das war einer der Umstände, warum er gern pünktlich Feierabend machte. Nur seine Frau und einige wenige enge Freunde kannten ein Geheimnis von ihm, denn er hatte im Dunkeln unvorstellbar schnell Angst.
Er Schritt also in Richtung Bahnhof Princeline. Die dauert für gewöhnlich nur fünf Minuten. Es gab jedoch eine Baustelle, weshalb er einen kleinen Umweg machen musste.
Er bog also nicht wie gewohnt rechts in die Crossroad ein, sondern ging geradeaus in die Becketstreet, um dann die nächste rechts zu nehmen. Als er an der Ecke ankam, die seine Abbiegung in die gewohnte Richtung bedeutete, sah er auf der anderen Straßenseite einen Mann neben einer Luxus-Limousine stehen. „So ein Schmog“, dachte Mr. Persey, aber als er genauer hinschaute erkannte er, dass es sich um einen Chauffeur handelte, der scheinbar auf seinen Auftraggeber wartete. Mr. Persey bog ab und ging eilig weiter, denn die Abfahrtszeiten der U14 um diese Uhrzeit waren ihm fremd. Kaum war er 15 Meter gegangen hörte er hinter sich ein Fahrzeug mit leicht quietschenden Reifen wenden. Da dies in der Londoner Innenstadt keine Seltenheit war, maß er diesem akustischen Ereignis keine weitere Bedeutung bei und ging weiter ohne sich umzudrehen. Erst als er feststellte, dass dem Geräusch nicht die üblichen Bewegungen von Scheinwerfern folgten, stieg das erste Gefühl von Panik in ihm hoch. Er drehte sich um und sah, dass der Chauffeur nun nicht mehr neben seinem Auto stand, sondern langsam in seine Richtung fahrend hinter dem Steuer der Stretchlimo saß. „Das kann nichts Gutes bedeuten“, dachte Mr. Persey und beschleunigte seine Schritte zum Bahnhof. Helle Lichter begrüßten ihn schon nach wenigen Metern und er fühlte sich wieder ein wenig sicherer.
Als Mr. Persey die Treppe in den U-Bahn Tunnel hinabstieg dachte er noch mal kurz über den Fahrer der Stretch-Limousine nach und im Nächsten Moment schon einen Bettler, der in einen alten, fleckigen Mantel gekleidet auf Knien die Passanten um Geld anbettelte. Einem Schild entnahm er, dass der Mann Taub und Blind war. Das war Mr. Persey egal, denn er hatte nie viel übrig für das Leid anderer. Außer beim Absterben seiner Hortensien im heimischen Garten hatte er nur am Grab seiner Mutter geweint, die im vergangenen Jahr im Alter von 96 erfüllten Lebensjahren an Herzversagen gestorben war.
Im Tunnel angekommen las er das Hinweisschild der U-Bahn auf dem der als nächstes eintreffende Zug stand. Hier stehen im Regelfall die Zuglänge, die Ankunfts- und Abfahrtszeit und einige der kommenden Haltestellen inkl. der Zielhaltestelle. Nun zeigte das Schild jedoch die Meldung, dass der nächste Zug erst wieder am kommenden Morgen gegen 4:32 Uhr fahren würde. Mr. Persey war fassungslos. Er stand wie angewurzelt da und starrte einige Sekunden die Anzeigetafel an und ging dann wieder die Treppen hoch zum Bahnhof. Er würde nun ein Taxi nehmen müssen, denn anders konnte er nicht nach Hause kommen. Er hatte es sich abgewöhnt mit dem Auto in die Innenstadt zu fahren, nachdem er im Vorjahr zusammen mit seinem Steuerberater festgestellt hatte, dass er rund 5% seines Nettolohnes pro Monat für Parktickets ausgegeben hatte. Davon waren zwar die meisten Kosten entstanden, weil er als Falschparker entlarvt wurde, jedoch seiner Ansicht nach, waren es zwei unverbesserliche Politessen, die nichts Besseres zu tun hatten als kontinuierlich durch die Queststreet zu laufen in der die Firma Slummings Ihren Sitz hatte und dort ausschließlich seinen alten Mercedes mit Falschparkzetteln auszustaffieren.
Oben angekommen drehte er sich in Richtung Taxistand, den er im Vorbeilaufen schon oft gesehen hatte, jedoch stets zu geizig war eines zu nehmen. Auch jetzt ärgerte er sich über das Geld, welches er gleich Verschwenden würde.
Da war er wieder, der Chauffeur in seiner Stretchlimousine. Nun stand der Mann im Licht. Er sah gar nicht so gefährlich aus. Mr. Persey konnte ihn nun recht gut erkennen. Er musste zugeben, dass der kleine Mann, der einen Schnurrbart trug und einen absolut akkurat sitzenden Anzug einen recht sympathischen Eindruck machte. Er musste eh in seine Richtung gehen, da der Mann direkt vor allen Taxis geparkt hatte und wollte sich bei dieser Gelegenheit das Auto mal genauer anschauen, natürlich nur, wenn der Chauffeur dies zu lies. Gutes Benehmen war Mr. Persey schon immer sehr wichtig. Daher fragte er den Mann, als er nur noch wenige Meter entfernt war, ob er sich das Fahrzeug mal genauer anschauen konnte. Der Fahrer willigte ohne Widerworte sofort ein und bat Mr. Persey sogar an, sich den Innenraum mal anzuschauen. Diesem Angebot konnte Mr. Persey nicht wiederstehen und drehte zunächst eine Runde um den Wagen. Wie der Chauffeur auf seine Nachfrage hin bekannt gab, handelte es sich um das neueste Modell eines Ford Lincoln Town Cars in der so genannten L-Version, was bedeutete, dass dieses Auto besonders lang war.
Nachdem Mr. Persey sich auch den Innenraum angeschaut hatte war er völlig begeistert. Es gab eine Bar in dem Wagen, mehrere Fernsehre und eine eindrucksvolle Lichtanlage. Mr. Persey fand die Lichter zwar beeindruckend, jedoch waren diese nicht sein Geschmack.
Er bedankte sich bei dem freundlichen Fahrer und wollte gerade zu einem der Taxis gehen, als der Chauffeur sich an ihn wand und sagte, dass er ihn ebenfalls gerne nach Hause fahren könnte. Mr. Persey hatte für diese Idee nichts Übrig und blockte ab. Das Geld, das er gleich für das Taxi ausgeben würde täte ihm schon weh und so hoffte er dem Fahrer gut erklärt zu haben, dass sein Angebot zwar verlockend, jedoch unerschwinglich für ihn war.
„Diese Stretchlimousine mieten kostet sie nicht mehr, als mit einem der Taxis dort zu fahren, das garantiere ich Ihnen!“
Nach dieser Aussage war Mr. Persey ziemlich platt. Er hatte damit gerechnet, dass gerade ein solch neues Fahrzeug nur für Stars und Sternchen der Theater- und Kino-Szene würde bezahlbar sein.
Er willigte sofort ein und fuhr mit der Limousine nach Westbridge.
Diese Fahrt hatte er auch Jahre später noch nicht vergessen, als die Firma Slummings & Partners einen Mitarbeiterparkplatz baute und alle Mitarbeiter, die länger als 5 Jahre der Firma angehören kostenlos einen Parkplatz in der Londoner Innenstadt erhielten. Mr. Persey fuhr dennoch täglich mit der U-Bahn. Den freundlichen Chauffeur hat er leider nicht mehr gesehen, aber nach dieser Fahrt hat er oft die Limo durch die Stadt fahren sehen. Es ist wahrscheinlich wie mit so vielen Dingen, erst wenn man sich diese bewusst macht, sieht man sie erst im alltäglichen Leben.

Mittler zwischen den Welten (Leseprobe)

Von darkfantasy am 3. Juli 2009 veröffentlicht

Mittler zwischen den Welten

 

Kapitel (4) aus “Lebensadern”, dem ersten Band der Jason Dawn Saga von Carola Kickers

Rita Hold tappte in Pantoffeln und Nachthemd in die Küche. Es war kurz nach ein Uhr morgens, und sie konnte nicht schlafen. Zeit für einen Mitternachtssnack. Ohne das Licht anzumachen nahm sie ein Glas von der Anrichte und öffnete den Kühlschrank. Sekunden später zerbrach das Glas auf den Fliesen. Das Licht des Kühlschrankes hatte für einen kurzen Moment die dunkle Gestalt am Küchentisch beleuchtet. Rita erschrak bis ins Mark und ließ das Glas fallen. Hastig griff sie an den Lichtschalter.

„Jason!“, rief sie erstaunt aus. „Was, zum Teufel, machen Sie mitten in der Nacht in meiner Küche?“ Ärger löste den Schrecken ab.

Der junge Mann in schwarzer Kleidung hob lässig die Hand zu einem Gruß. „Hallo, Rita. Ich nehme nicht an, dass Sie mir etwas zu trinken anbieten wollen?“ In seiner Stimme mischten sich Spott und Überheblichkeit. Dabei grinste er ob der Zweideutigkeit seiner Worte. Die junge Frau wusste schließlich, dass er ein Wesen aus einer anderen Welt war, ein Vampir.

„Was soll das?“, fragte Rita, ohne auf seine Provokation einzugehen. Innerlich machte sie sich Gedanken über ihr Aussehen und knöpfte schnell ihr Nachthemd zu.

Jason Dawn, den sie als ehemaligen Sänger der englischen Rockband „The Damned“ vor einigen Wochen kennen gelernt, und der ihr seine wahre Identität verraten hatte, lächelte sie unverschämt an. Zu der Zeit hatte er nur Englisch mit ihr gesprochen, nun sprach er Deutsch mit einem leichten Akzent.

„Keine Sorge, Sie sehen bezaubernd aus.“

Warum konnten diese Wesen bloß Gedanken lesen? Rita schwankte zwischen Verlegenheit und Ärger, als Jasons nächste Worte sie aufhorchen ließen.

„Ich habe über Ihren Vorschlag von damals nachgedacht“, begann er vorsichtig. „Ich wäre eventuell bereit, Sie in gewisser Weise zu unterstützen, wenn Sie dafür – sagen wir mal – mein Dasein etwas erleichtern würden.“

„Und wie stellen Sie sich das vor? Wollen Sie etwa ein Abo für die Blutbank?“, fragte Rita zynisch.

„Nicht doch, dieses Blut wäre tote Energie. Ich bevorzuge, genau wie Sie, warme Mahlzeiten.“

Jason grinste wieder, als Rita erschauerte.

„Und was würden Sie dafür tun?“, fragte sie misstrauisch.

„Ich verrate Ihnen ein paar kleine Geheimnisse unserer Rasse, die Sie sicher interessieren dürften!“

Der junge Mann mit den schönen dunklen Augen und den sanften Gesichtszügen wusste genau, dass er in der stärkeren Position war und ließ Rita seine Überlegenheit spüren.

„Ich muss erst mit Kommissar Welsch darüber sprechen“, meinte diese nur. Sie hatte ihre Fassung kurz wieder gefunden.

„Natürlich. Ich bin sicher, wir sehen uns bald wieder.“ Mit diesen Worten stand Jason vom Küchentisch auf und ging auf die hübsche Polizeibeamtin zu, die instinktiv zum Türrahmen zurückwich. „Ich weiß nur nicht, was Ihnen lieber wäre, bei Tag oder bei Nacht.“

Diese Frechheit in seinen Worten traf ins Schwarze, denn er wusste, dass Rita eine unerklärliche Zuneigung für ihn empfand.

Mit einem leisen Lachen ging er an der sprachlosen Beamtin vorbei ins Wohnzimmer, öffnete das Fenster und sprang auf das Fenstersims.

„Um Gottes Willen“, rief Rita aus. „Wir sind hier im dritten Stock!“

Jason winkte ihr zu wie ein kleiner Junge, der einen Streich ausheckte.

Mit Schwung stieß er sich von der Fensterbrüstung ab und verschwand als dunkler Schemen in der Nacht, noch bevor Rita das Fenster erreichte.

‚Komisch’, dachte sie dabei nur. ‚Und ich hab immer geglaubt, die würden sich in Fledermäuse verwandeln.’ Dann schloss sie das Fenster wieder und ging ins Bett, wohl wissend, dass sie heute Nacht doch keinen Schlaf mehr bekommen würde.

* * *

In der Piano Bar im Hotel Hafen Hamburg war nicht viel los. Kommissar Welsch, seine Assistentin Rita Hold und Jason Dawn saßen etwas abseits an einem der kleinen, runden Tische.

Jasons Vorschlag stieß bei Harald Welsch zunächst auf Ablehnung, ja Empörung.

„Sie wollen von uns Namen von Verbrechern, die schuldig sind, aber nicht verurteilt werden konnten? Hab ich Sie da richtig verstanden?“ Der Kommissar schüttelte verständnislos den Kopf. „Das ist unmöglich!“

Jason sah ihn mit einem prüfenden Blick an. „Denken Sie? In den Staaten werden verurteilte Mörder und Verbrecher doch auch hingerichtet. Wir würden diese Aufgabe gerne hier übernehmen.“ Da war wieder seine provozierende Arroganz, die im krassen Gegensatz zu seiner so weichen Stimme stand.

„Damit würden wir uns zu Mitschuldigen machen“, warf Rita ein.

Der junge Mann hob die Augenbrauen. „Was ist Ihnen denn lieber? Dass wir Schuldige töten, die selbst getötet haben, oder unschuldige Menschen? Wir müssen schließlich überleben! Und wenn ich andere von uns überzeugen könnte, das Gleiche zu tun, bekäme unser Dasein sogar noch einen Sinn. Und denken Sie mal an den gesellschaftlichen Nutzen.“

Kurze Zeit lang herrschte Schweigen am Tisch.

„Was ist mit Tierblut?“, fragte Welsch unvermittelt.

Jason rümpfte die Nase. „Zur Not…“, meinte er, „aber energetisch lange nicht so gehaltvoll wie menschliches Blut.“

„Und wie oft …“ Welsch ließ diese Frage unausgesprochen.

„Das kommt darauf an. Wir können Wochenlang ohne Nahrung auskommen. Aber ich bevorzuge regelmäßige Mahlzeiten, sagen wir – alle zwei Wochen.“

Rita kam sich vor wie bei einer Verhandlung mit dem Teufel. Nervös spielte sie mit dem Weinglas vor ihr auf dem Tisch.

„Das können wir jetzt und hier nicht entscheiden“, sagte Welsch, und auch er fragte sich, ob er gerade seine Seele verkaufte.

„Gut“, sagte Jason, „aber Sie werden bestimmt noch weitere Fragen haben.“ Er lehnte sich zurück und betrachtete die beiden vor ihm wie ein Professor seine Studenten im ersten Semester.

„Sie können sich also am Tag wie bei Nacht frei bewegen“, stellte Welsch fest.

Jason nickte.

„Und was ist mit all diesen anderen Dingen: Weihwasser, Kreuze, Knoblauch?“, fragte der Kommissar weiter.

Jason lachte laut auf. „Kinderkram! Wir könnten sogar im Vatikan ein- und ausspazieren. Gott hat uns längst vergessen! Wir haben unsere eigenen Regeln und Gesetze.“

Welsch dachte daran, dass er gerade einige graue Haare dazu bekam. „Ich nehme nicht an, dass Sie im Dunkeln leuchten oder dass man Sie sonst wie erkennen kann?“

Wieder verneinte Jason. „Wenn Sie uns erkennen, ist es meist zu spät!“

„Sie können auch Gedanken lesen und den Willen von Menschen manipulieren“, fiel Rita in das Gespräch ein.

„Nur wenn diese es zulassen.“

„Spiegelbilder?“, fragte sie weiter.

„Können moderne Vampire genauso telepathisch hervorrufen wie Fotografien.“ Jason beugte sich näher zu Rita. Irgendetwas irritierte sie. Da war wieder dieser Geruch, den sie schon von früher her an ihm kannte.

„Außerdem können wir genauso empfinden wie normale Menschen, nur viel intensiver. Kinder zeugen können wir allerdings nicht.“

Das brachte die hübsche Ermittlerin wieder in Verlegenheit.

Noch bevor sie etwas darauf antworten konnte, ergriff der Kommissar erneut das Wort. „Dann ist alles, was in der Literatur über euch geschrieben steht, Schwachsinn?“

„Das nicht gerade, es bezieht sich nur auf die klassischen alten Vampire. Aber die sterben langsam aus. Sie können sich nicht genug anpassen an diese schnelllebige und technische Welt. Die findet man fast nur noch in den unterentwickelten Ländern.“

Dabei musste der Kommissar an Südamerika denken. Dahin war seine damalige Partnerin verschwunden, nachdem sie zum Vampir wurde.

Jason hatte den Gedanken aufgefangen und wandte sich dem Kommissar zu. „Ja, sie ist noch da. Dieser Richard, dem sie verfallen ist, entstammt einer der älteren Generationen. Er ist ein Grenzgängervampir.“

Das war ein wirklich denkwürdiger Abend für den Kommissar und seine Partnerin.

„Wie alt sind Sie denn eigentlich?“, fragte Welsch aus reiner Neugier.

„Ich wurde erst 1920 als Vampir geboren“, grinste Jason und wandte sich mit einem Augenzwinkern Rita zu. „Ich hoffe, der kleine Altersunterschied stört Sie nicht!“

* * *

Dieses erste vertrauliche Gespräch mit einem Vampir der Neuzeit warf weitere Fragen auf, aber diese würde Jason erst beantworten, wenn er seinen Handel unter Dach und Fach gebracht hatte, soviel war sicher. Rita und ihr Chef überlegten einige Tage hin und her, bis ihnen die Entscheidung von anderer Seite abgenommen wurde.

Es war nicht der erste anonyme Drohbrief, den der Hauptkommissar erhielt. Aber diesmal schien der Absender es ernst zu meinen. Vom Kollegen Gerhard erfuhr Welsch eines Morgens, dass seine kleine Nichte Anna auf dem Weg von der Schule nach Hause verschwunden war. Die Kleine ging in die Grundschule Bergstedt im Nordosten Hamburgs und brauchte gerade mal zehn Minuten Fußweg nach Hause. Martina Welsch, die Schwester des Kommissars, war allein erziehend und halbtags berufstätig, so dass sie mittags für die Achtjährige kochen konnte. Der Vater war vor drei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Normalerweise begleiteten andere Elternteile die Kinder, doch es kam vor, dass aufgrund des kurzen Weges Anna auch mal alleine gehen musste. An diesem Mittwoch kam Anna nicht nach Hause.

„Wer sollte Lösegeld von einer allein erziehenden Mutter erpressen? Nein, diese Entführung hat einen anderen Hintergrund.“ Gerhard sprach besonders leise, damit die in Tränen aufgelöste Mutter, die gerade im Wohnzimmer von einem Seelsorger betreut wurde, das Gespräch in der Küche nicht mitbekam.

Harald Welsch zeigte dem Kollegen den Drohbrief, den er eine Woche zuvor erhalten hatte.

„Ich gehe davon aus, dass es sich um einen meiner Spezies handelt, den ich mal eingebuchtet habe. Leider habe ich den Brief nicht ernst genommen“, sagte er besorgt.

„Wir gehen der Sache nach, die Fahndung ist bereits in vollem Gange. Mach dir keine Sorgen, wir finden eure Kleine.“ Gerhard klopfte Harald beruhigend auf die Schulter.

‚Aber in welchem Zustand’, dachte dieser nur und beschloss, zusätzlich auf eigene Faust zu ermitteln.

Gemeinsam mit Rita ging er am nächsten Morgen die Liste der schweren Jungs durch, die durch sein Kommissariat hinter Gitter gelandet waren.

„In den letzten vier Monaten entlassen wurden nur zwei“, meinte Rita. „Einer davon hat wenigstens eine Familie, der andere ist in einem Obdachlosenheim gelandet.“

„Wir werden uns beide mal ansehen“, beschloss der Kommissar.

„Chef, ich hab’ mal ’ne Bank überfallen, aber ich werd’ doch kleinen Kindern nix antun“, bestritt Stefan Gregorius heftig bei der Befragung. „Ich hab’ doch selbst zwei Kinder. Nee, sowatt mach ich nich. Ich bin doch froh, dat ich raus bin aus’m Bau. Und ’nen Job hab ich auch ab nächste Woche. Nee, nee.“

Welsch glaubte ihm. Der unrasierte Typ im offenen Hemd vor ihm sah zwar wenig vertrauenerweckend aus, aber eine kaltblütige Kindesentführung traute der Kommissar ihm nicht zu.

Seine Frau und die beiden Kinder saßen dabei verschüchtert auf dem Sofa.

„Kommen Sie“, sagte Welsch zu seiner Assistentin. „Schauen wir uns mal den zweiten Verdächtigen an.“

„Der Klaus is nicht mehr da. Hat sich nur für ’ne Nacht hier eingetragen“, meinte der Hausmeister vom Obdachlosenheim und biss in seine Stulle.

„Hat er eine Adresse hinterlassen oder zu irgendjemandem Kontakt gehabt?“

„Nö, hat nur hier gepennt und is dann auf und davon.“

„Na klasse, ohne berechtigten Verdacht können wir keine Fahndung ausrufen“, meinte Welsch. „Sehen wir uns noch mal seine Akte an“, schlug Rita vor.

Zurück im Büro durchforsteten sie nochmals alle Unterlagen. Klaus Hilfrich hatte bereits eine lange Liste an Vorstrafen, bevor er wegen eines brutalen bewaffneten Raubüberfalls für längere Zeit eingesessen hatte.

„Den Toten hat er auf das Konto seines Komplizen geschoben.“

„Und der ist wiederum von dem Wachmann erschossen worden.“

„Für Mord würde der Typ ja auch heute noch einsitzen. Leider konnte der Staatsanwalt ihm nicht beweisen, dass er geschossen hat. Die Waffe lag in der Hand des Komplizen, und es gab keine anderen Fingerabdrücke, ebenso wenig wie Zeugen.“

„Und außerdem“, Rita klappte die Akte zu, „gilt Hilfrich als cholerisch und gewalttätig. Vielleicht ist er ja auch rachsüchtig! Schließlich hat seine Frau ihn mit dem Kind verlassen, nachdem er verknackt wurde. Und da Sie keine eigenen Kinder haben, Chef, rächt er sich über Ihre Schwester.“ „Reicht aber immer noch nicht als Grund für einen Fahndungserlass.“

„Dann hören wir uns doch mal im Bau um, vielleicht hat er ein paar Kollegen was erzählt!“

Manchmal hatte seine Assistentin echt gute Ideen, gab der Kommissar innerlich zu.

Leider blieben auch die Befragungen in der JVA Fuhlsbüttel ohne wirkliches Ergebnis. Einer der Insassen erzählte wohl noch, dass Klaus Hilfrich früher einmal zur See gefahren war, was die Suche nicht gerade erleichtern würde, falls er anheuern sollte. Den Kommissar beschlich ein ungutes Gefühl bei diesem Gedanken.

* * *

Der rostige Seelenverkäufer aus Honduras dümpelte an den Tauen vor sich hin. Das Schiff wartete auf seine Abwrackung. Unten in die leeren Frachträume drang selbst am helllichten Tag kaum Licht hinein. Auf einem Stuhl saß die kleine Anna, gefesselt und mit einem Taschentuch im Mund.

Die eingerosteten Türen des Frachters standen alle weit offen und viele ließen sich nicht mehr schließen, also hatte Klaus Hilfrich das Kind anbinden müssen. Die kreischenden Geräusche des Metalls, die durch das tote Schiff hallten, machten dem kleinen Mädchen Angst. Außerdem war es kalt hier unten. Seit gestern war der Mann, der sie auf dem Heimweg entführt hatte, nicht mehr aufgetaucht.

Zu dieser Zeit waren die Beamten im Hafen ausgeschwärmt, sie befragten die Mannschaften der im Hafen liegenden Schiffe, vor allem die der ausländischen Frachter. Niemand hatte Klaus Hilfrich gesehen. Welsch und Rita hatten sich schließlich bei ihrer Suche getrennt auf den Weg gemacht.

Es war purer Zufall, dass Rita Hold den alten Kahn an einem abgelegenen Pier entdeckte, gerade als sie die Suche schon abbrechen wollte. Der Name des Schiffes war unleserlich, die Farbe längst abgeblättert. Eine Gangway gab es nicht, um auf das Schiff zu gelangen, stattdessen hing eine Strickleiter an der Bordwand. Und genau das machte Rita stutzig. Ohne zu zögern kletterte sie auf den Frachter und begann, sich vorsichtig umzuschauen.

‚Das Ding besteht ja nur noch aus Rost’, dachte sie. Die Metall-Treppen, die in den Bauch des Schiffes führten, sahen lebensgefährlich aus. Behutsam setzte die Polizeibeamtin einen Schritt vor den anderen, prüfte, ob die nächste Stufe ihr Gewicht aushalten würde. Dabei kam in ihr unweigerlich der Gedanke an eine Diät hoch.

Unten angekommen, fand sie das Schiff schon halb ausgeschlachtet vor. Die Türen zu den einzelnen Kajüten standen weit offen, darin nur die Metallrahmen der Kojen. Die Frachträume ähnelten riesigen, leeren Hallen. Eine fette Ratte lief ihr über die Füße. Rita zuckte zusammen. Die Geräusche hier unten waren ohrenbetäubend, sobald das Metall aneinander rieb. Dadurch wurden ihre Schritte übertönt, aber leider auch alle anderen Geräusche.

Minuten später fand Rita die kleine Anna weinend auf ihren Stuhl gefesselt und eilte zu ihr. Doch noch bevor sie sie losbinden konnte, hörte sie die herrische Stimme von Klaus Hilfrich hinter sich. „Stehen bleiben, junge Frau! Und nehmen Sie die Hände hoch!“

Rita erstarrte und drehte sich dann ganz langsam um. Eine Automatik war auf sie gerichtet. In der anderen Hand hielt der muskulöse Mann mit den ungepflegten, halblangen Haaren einen weiteren Stuhl, den er nun zu Rita hinüber schleuderte.

„Werfen Sie Ihre Waffe weg und setzen Sie sich hin“, forderte Hilfrich sie auf.

Dann fesselte er die Frau mit dünnen Tauen Rücken an Rücken an den Stuhl des Kindes.

„Was soll das? Sie sind doch gerade erst aus dem Gefängnis entlassen worden?“, fragte Rita um einen ruhigen Ton bemüht, um den Verbrecher nicht herauszufordern.

„Klar, und wenn’s nach Ihrem Chef gegangen wär’, säß ich immer noch drin – wegen Mordes!“

„Aber das konnte man Ihnen doch nicht nachweisen!“

„Heißt aber nicht, dass ich’s nicht war!“ Der Typ grinste Rita frech ins Gesicht und stopfte auch ihr ein Taschentuch in den Mund.

„Hier unten findet Sie so leicht keiner. Aber Sie haben ja Gesellschaft beim Verrecken!“ Mit diesen Worten steckte Klaus Hilfrich seine Waffe in den Gürtel und wandte sich zum Gehen.

Rita sah den großen Schatten nur kurz aus den Augenwinkeln, und dann war sie froh, dass das kleine Mädchen hinter ihr die folgende Szene nicht mitbekam: Jason Dawn hatte sich wie ein lautloser Racheengel auf Klaus Hilfrich gestürzt und schlug seine Zähne in die Kehle des Kriminellen.

* * *

„Sie hätten ihn nicht direkt töten müssen“, sagte Rita leise, als Jason sie und das Mädchen losband.

Jason sah sie mit diesem überheblichen Blick an, den sie bereits kannte. „Vielleicht hätten Sie ihn gar nicht erst laufen lassen sollen.“

„Wie haben Sie uns überhaupt gefunden?“, fragte Rita.

Jason lächelte. „Das ist überhaupt kein Problem. Erst recht nicht, seit wir eine so schöne, telepathische Verbindung zu einander haben. Und ich liebe es, sie zu entfesseln!“

Seine arrogante Art konnte sie auf die Palme bringen!

„Trotzdem, danke“, sagte Rita jetzt, und das meinte sie ehrlich. „Wahrscheinlich haben Sie uns beiden das Leben gerettet.“

„Jederzeit zu Diensten!“ Jason verbeugte sich theatralisch vor ihr und verschmolz wieder mit den Schatten im Schiffsrumpf.

Als Rita das kleine Mädchen zurück zu ihrer Mutter brachte, war diese überglücklich. Sie bedankte sich überschwänglich. Kommissar Welsch, der von Rita über Funk informiert worden war, war bereits bei seiner Schwester eingetroffen und dankte seiner Assistentin, indem er sie wortlos an sich drückte.

Soviel Emotion war Rita von ihrem Chef nicht gewohnt. ‚Wahrscheinlich hat er mehr Herz, als er vorgibt’, dachte sie für sich.

„Falls Sie sich morgen mal einen Tag frei nehmen wollen…“, schlug er vor.

„Schon gut, Chef, aber ich denke, wir sollten lieber darüber nachdenken, wie wir den Bericht abfassen – nachdem Jason so drastisch eingegriffen hat.“

Welsch kratzte sich am Kinn. Das tat er immer, wenn er ziemlich ratlos war.

Rita musste lächeln. Beruhigend klopfte sie ihm auf die Schulter. „Uns wird schon was einfallen. Bis morgen dann.“

Wieder saßen der Kommissar und seine Partnerin dem ganz in Schwarz gekleideten jungen Mann gegenüber. Durch seine Kleidung wurde der blasse Teint nur noch mehr betont und die großen, dunklen Augen hervorgehoben. Zwei junge Damen am Nachbartisch warfen ab und zu einen vielsagenden Blick zu Jason hinüber. Rita fand das kindisch.

„Kommen wir also zu Sache“, begann Kommissar Welsch das Gespräch. „Wir können Ihnen natürlich keine Liste mit Namen zur Verfügung stellen.“

„Wie bedauerlich“, warf Jason ein.

„Aber…“, der Kommissar zögerte, „aber wir könnten Ihnen gestatten, uns sozusagen ‚undercover’ bei den Ermittlungen behilflich zu sein. Was Sie dann mit den Informationen anfangen, die Sie von uns erhalten, bleibt ganz Ihnen überlassen.“

Jason nickte zufrieden. „Das klingt akzeptabel.“

„Wie haben Sie eigentlich offiziell meine kleine Intervention erklärt?“, fragte er dann neugierig.

„Rattenbisse!“, erwiderte Rita kurz.

Jason prustete los. „Nicht schlecht. Hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut. Ich hoffe, das war nicht persönlich gemeint.“

„Eine Frage müssen Sie mir noch beantworten“, forderte Rita. „Wieso verwandeln sich Ihre Opfer nicht in weitere Vampire?“

„Diese Art der – sagen wir mal – Vermehrung ist nur wenigen, alten Vampirmeistern vorbehalten. Wir modernen Vampire sind dazu nicht mehr fähig. Wir sind eher so was wie Hybriden.“

Welsch und Rita blickten ihn erstaunt an.

„Es kann nur eine begrenzte Anzahl von uns geben, alles andere wäre selbstzerstörerisch, wie immer in der Natur“, versuchte Jason zu erklären.

„Und wie … ich meine, wie kann man Sie töten?“ Kommissar Welsch versuchte, den Vampir aus der Reserve zu locken.

„Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass ich Ihnen diese Frage nicht beantworten werde“, grinste Jason.

„Und ich hoffe, dass Sie Ihr Versprechen halten“, meinte der Kommissar.

Jason legte seine rechte Hand auf seine Herzgegend. „Mein Ehrenwort!“, beteuerte er, nicht ohne einen gewissen Spott in seiner Stimme.

Rita seufzte. Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm.

* * *

Wenige Tage später erhielt Rita Hold eine Einladung von Jason. Wie es seine charmant-makabre Art war, lag an diesem Tag eine schwarze Rose mit einer Karte vor ihrer Wohnungstür.

‚Na, wenigstens hält er sich mal an menschliche Gepflogenheiten’, dachte Rita, als sie die Karte öffnete.

„Ich möchte Sie am Samstagabend in meine Welt entführen. Bitte kleiden Sie sich entsprechend. J.D.“, stand dort in kunstvollen Lettern. Das konnte alles Mögliche bedeuten. Trotzdem konnte Rita eine gewisse Vorfreude nicht verbergen.

In der Cathedrale Noir in der Hamburger Prinzenbar bestand Dresscode. Der Club war ein Insidertipp der Gothic Szene. Rita Hold kam sich in ihrem Alter zunächst einmal völlig deplaciert vor. Dabei fiel sie in dem langen, schwarzen Abendkleid aus Samt, das ihre Figur vorteilhaft umspielte, gar nicht auf. Die teilweise extrem geschminkten Gestalten erinnerten sie aber eher an einen Maskenball. Doch Jason schob sie weiter durch die Menge. Auf der Galerie fanden Sie ein halbwegs ruhiges Plätzchen außerhalb des Getümmels.

Der junge Mann verschwand für kurze Zeit und kam mit einer dunkelhaarigen Schönheit zurück.

„Darf ich vorstellen – Laetitia, eine von uns.“

Rita spürte Unbehagen, doch Jason beruhigte sie. „Keine Angst, es wird Ihnen nichts geschehen. Laetitia wird sich in Zukunft auch an die neuen Regeln halten, das verspreche ich Ihnen.“

Laetitia begrüßte Rita und kam ihr dabei näher, doch trotz ihres Lächelns ging eine Bedrohung von ihr aus. Mittlerweile waren Ritas Sinne dafür geschärft. Im diesem Augenblick fühlte sie sich überhaupt nicht mehr wohl.

„Ihr Boss wollte doch wissen, wie man uns erkennen kann“, flüsterte ihr Jason ins Ohr. Und plötzlich fiel es Rita auf. Der Geruch von Laetitia war der Gleiche wie bei Jason. Ein zarter Duft von Moschus…

Im Nachhinein konnte Rita nicht behaupten, dass es ein schöner Abend gewesen war, aber sie berichtete Kommissar Welsch direkt am nächsten Montag von ihrer Erkenntnis.

„Das Problem ist nur“, meinte dieser, „wenn das stimmt, dann ist man bereits in Gefahr, denn einen Geruch nimmt man erst in unmittelbarer Nähe war.“

„Ich denke, genau deshalb hat Jason uns auf diese Art gewarnt.“

„Heißt das, wir sollten dem Knaben trauen?“ Harald Welsch war nach wie vor voller Misstrauen, was diese Geschöpfe anging. Sie passten einfach nicht in sein Weltbild.

Rita zuckte die Achseln. „Wenn er noch weitere seiner Art überzeugen könnte…“, begann sie.

„Dann gibt es in unserem Land bald sehr viel weniger Schwerverbrecher“, fuhr der Kommissar fort. „Irgendwie komme ich mir vor, wie bei einer Verschwörung. Ganz zu schweigen von der notwendigen ‚kreativen Berichtführung’.“ Den Kommissar schauderte bei dem Gedanken, die Taten dieser Wesen decken zu müssen.

„Der Vorteil ist, dass sie Unschuldige in Ruhe lassen werden, wenn es Jason gelingt, sie zu überreden. Das Ganze hat allerdings auch einen Nachteil“, gab seine Assistentin zu bedenken. „Wir sind in gewisser Weise von diesem Jason abhängig. Er ist der Mittler zwischen beiden Welten.“

„Nur, wenn wir ihm trauen können“, sagte Kommissar Welsch zu sich selbst.

Trotzdem hatte Rita es gehört. „Wir haben keine andere Wahl.“

* * *