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Archiv der Kategorie ‘Satire’

Die Blondine

Von MrVienna am 9. Juli 2011 veröffentlicht

‘Danke’, hauchte die zierliche Blondine zu seiner Linken und nippte an der Sektflöte. Paul hatte ihr das Glas lässig über die polierte Oberfläche der Theke zugeschoben. Es lag auch in seiner Absicht, sie mit schmelzender Stimme dazu einzuladen. Aber darauf hatte sie nicht gewartet, offensichtlich war ihr seine mündliche Einladung nicht wichtig genug. Wozu auch diese Umstände? Und sie würdigte ihn keines Blickes. Was Paul leicht frustrierte.

Er grübelte: Wenigstens ein freundliches Lächeln hätte er jetzt verdient. Stattdessen trank sie seinen sündteuren Sekt, als wäre das eine längst ausgemachte Sache. Und ihn, den Spender, strafte sie mit egoistischer Nichtbeachtung. Reagiert man so auf eine Einladung? Nun, vielleicht haben seine Worte: ‘Ein Glas Sekt für die Dame neben mir’, welche er dem eigenartig feixenden Barkeeper hingeworfen hatte, etwas überheblich geklungen. War es das?

Etwas ratlos entließ er leise seufzend seiner Lunge die überschüssige Luft, welche für die nun nicht gesprochenen Worte reserviert waren und bereitete die nächste Aktion vor. Er zog unauffällig seinen Ärmel hoch und präsentierte seine brandneue Rolex-Uhr. Das Prachtstück blitzte auch sogleich herausfordernd von seinem solariumgebräunten Handgelenk, als hätte es die längste Zeit auf diesen Auftritt gewartet. Die Blondine daneben nahm davon keine Notiz.

Seine Stimmung sank. Er sah sich um. Sie waren die letzten Gäste in der Bar. Niemand war zu sehen, nur die aufreizende, aber gefühlskalte Blondine neben ihm. Im Hintergrund verschwammen im Halbdunkel die roten plüschgepolsterten Bänke mit den abgenutzten Ecken. Die Tische waren bereits sauber abgeräumt, auch die Bedienung war schon verschwunden. Nur der Tabakrauch, vermengt mit dem Dunst der alkoholischen Getränke, war zurückgeblieben, floss erkaltet und feindlich durch den Raum und kratzte in der Kehle.

Paul wandte sich wieder der Blondine zu. Interessiert studierte er ihre langen Wimpern. Ihr eng sitzendes Kleid, welches, dezent und dunkelblau schimmernd, einen betörenden Frauenkörper umspannte. Paul schluckte. Seine Betrachtung verleitete ihn zu aufregenden Tagträumen.

Und dann kam Bewegung in das Wunderwesen. Sie öffnete ihre Handtasche, worauf Pauls Spannungszustand explosionsartig expandierte. Ihre schlanken Finger, an den Spitzen geschmückt mit sorgfältig geformten und rot lackierten Fingernägeln, versanken im Inneren der Tasche und brachten anschließend eine Zigarettenpackung an das gedämpfte Licht. Während sie eine Zigarette mit ihren roten Lippen festhielt, verschwanden ihre Finger erneut in der Handtasche. Offensichtlich suchte sie jetzt ihr Feuerzeug. Sie suchte, suchte, während Paul aufmerksam ihrem Tun zusah. Solange, bis ihm ein Gedankenblitz zuflüsterte, er dürfe diese Gelegenheit nicht ungenutzt vorbeigehen lassen. Natürlich nicht. Das liegt doch auf der Hand. Ob er ihr Feuer geben dürfe, ratterte es schlagartig aus ihm heraus und sie neigte bejahend ihren schönen blond glänzenden Kopf.

Geschafft. Der Anfang wäre gemacht. Jetzt nicht locker lassen, nicht den Faden verlieren. Nur eine Hürde wäre noch zu überwinden: Er war Asthmatiker, daher Nichtraucher und unwissend womit er ihr jetzt eine Zigarette anzünden könnte.

Aber der Gedankenblitz kam zurück. Er ließ ihn nicht in Stich. Und auf seine Ideen war Paul berechtigterweise stolz. Wozu sonst hat ein Mann ein Gehirn? Neu motiviert drehte er langsam seinen alkoholgefüllten Kopf, fokussierte seinen verschwommenen Blick auf die Umrisse des Barkeepers, der unentwegt Gläser wischte. Es fiel ihm auf, dass dieser Kerl sein Gesicht zu einem schmutzigen Grinsen verzog, während er mit einem Auge pausenlos zu ihnen herüber glotzte. Paul hob herablassend seinen linken Arm, ließ die Rolex aufblitzen und der grinsende Mensch begriff sofort. Mit der Wendigkeit eines Taschenspielers zauberte er ein Feuerzeug aus dem Ärmel und während auf seinem linken Arm das Glas und das Tuch pausierten, bot er routiniert mit der Rechten Feuer an.

‘Danke’, hauchte die Blondine wieder – in Richtung Barkeeper. Paul bekam keinen Blick.

Unzufriedenheit machte sich breit. Schließlich war es seiner Initiative zu verdanken, murrte Paul innerlich, dass sie nun an ihrer Zigarette saugen und die Luft verpesten konnte. Was er mit seinem Asthma ertragen musste. Und sie bedankt sich dafür bei diesem gläserwischenden Sack, dessen Gehirn nicht weiter reicht, als sich über sein stupides Glaspolieren zu amüsieren. Noch dazu, wo Paul genau wusste, was er von sich selbst zu halten hatte. Nämlich dass er ein Weltmann war, ein Frauenversteher. Mit einem Wort: Ein toller Typ. Wenn sie das noch nicht bemerkt hat, so ist das bedauerlich. Für sie natürlich. Und wenn das so weitergeht, wird sie auch bald auf seine Nachbarschaft verzichteten müssen.

Die Blondine senkte jetzt ihre getuschten Wimpern und formte die Lippen, als wollte sie gleich ‘o’ sagen. Dann entlockte sie ihrem Schmollmund einen Rauchring, trieb ihn mit einem kurzen Luftstoß vor sich her und sah gedankenverloren zu, wie dessen durchscheinende Konturen langsam zerflossen, bis sie sich in der dumpfen Luft gänzlich auflösten. Dann hustete sie heftig. Paul hustete ebenfalls. Nicht aus Solidarität. Das hätte sie nicht verdient. Sondern weil sich der Tabakrauch boshaft in seinem Hals festkrallte. Als erste Hilfe leerte Paul sein Glas mit einem Zug. Der Husten zog sich zurück, der Kopf wurde schwerer. ‘Schön’, sagte er. Was Besseres fiel ihm nicht ein. Was hätte er sonst sagen sollen? Die Blondine hustete wieder. Nicht so heftig wie vorher. Mehr ein Hüsteln. Sollte er das als Antwort werten?

Der tuchbewaffnete Typ hinter der Bar, dessen einziger Lebenszweck darin bestand, ständig etwas abzuwischen, drehte am Knopf eines Musikgerätes. Sogleich schleppten sich müde Bässe durch den Raum, wanden sich um die beiden Sitzenden. Die Blondine wippte mit der Sohle auf dem Fußraster des Barhockers, während sie einen zweiten Rauchring ausstieß. Er gelang nicht so schön, wie beim erstenmal. Es war nur ein ausgefranstes Rauchgebilde. Dann fiel polternd ihr rechter Hight-Heel zu Boden.

Paul überlegte. Immerhin betrachtete er interessiert den hochhackigen Damenschuh, der fast nur aus Bändern bestand, und nun, seitlich gekippt, auf dem dunklen Parkettboden, neben den Metallbeinen des Barhockers lag. Ein neuerlicher Hustenanfall störte seine Beobachtung. Diese verdammten Rauchringe. Wann hört sie endlich damit auf. Dann fiel ihm ein, dass nun wichtigere Dingen anstehen. In seiner Vorstellung ließ er sich lässig vom Barhocker gleiten, ihr den Schuh wie ein kostbares Geschenk überreichen und seinen Blick unwiderstehlich in ihre schwarzgeränderten Augen versenken.

Oder wäre es eindrucksvoller, männliche Würde zu bewahren und den Barkeeper die Aufgabe zu übertragen? Noch in seinen Spekulationen versunken, zog er langsam die Ellbogen von der Theke und straffte mühsam seinen Oberkörper. Nicht anders, als quälte er sich jetzt an der Kraft- und Foltermaschine in seinem Fitnessclub.

Ungeachtet dessen starrte die Blondine gebannt auf ihre Zigarettenspitze, von der jeden Moment ein großes Stück Asche abfallen und zu Boden kippen musste.

‘Danke’, kam es dann unerwartet und leicht rauchig aus ihr heraus. ‘Aber so ist es bequemer’.

Paul ließ seinen Oberkörper wieder in sich zusammensinken, lehnte sich erschöpft gegen die Theke. Eigentlich konnte er zufrieden sein. Sie hatte ihm einen ganzen Satz gewidmet. Ohne dass im das viel Mühe gekostet hätte. Und sie hatte ihr Glas ausgetrunken. Er wird jetzt noch ein Getränk spendieren. Und nun wird es funktionieren. Sie werden sich unterhalten, er wird ihr vorschlagen, woanders hinzugehen, und dann…

‘Sperrstunde’, sagte der ekelhafte Typ von einem Barkeeper. Er brachte brutal die apathischen Seufzer des Musikgeräts zum Schweigen, löschte einige Lichter, wechselte sein Sacco und schlüpfte durch eine Klappe der Theke. Paul ächzte mit der Seele und drückte ihm einen Geldschein in die Hand. Er verzichtete auf das Wechselgeld, obwohl es dieser Kerl nicht im Geringsten verdient hatte.

Aber jetzt wurde Paul nervös. Schnelles Handeln war angesagt, die Zeit wird knapp. Er drehte sich sitzend um seine Achse und holte tief Luft, um der Blondine endlich die entscheidenden Worte ins Ohr zu raunen.

‘Na also’, flötete diese, noch bevor der erste Ton seine Lippen verließ. ‚Das hat heute endlos gedauert.’ Eigentlich klang ihr Flöten mehr nach einer Bassflöte.

Pauls Zustand schwankte zwischen Euphorie und Verunsicherung. Ihre Worte mischten seine alkoholverhangenen Gedanken auf, setzten ein kleines Hormongewitter in Gang und zeichnete den Beginn eines Siegerlächelns auf seine Lippen.

Allerdings nur kurz. Die Wirklichkeit war grausam: Die Worte der Blondine galten nicht ihm, sondern diesem elenden Versager, der eben von seiner Theke hervorgekrochen war und sich jetzt neben ihm breit machte. Der so unverschämt grinste, die Blondine auf die Wange küsste und ihm die Tür öffnete.

Die kühle Nachtluft half Paul über das Schlimmste hinweg. Sie reinigte seine Gedanken, löste die Fantasien und brachte ihn auf die Erde zurück. Er atmete tief durch, holte aus seiner Hosentasche den Ehering, kämpfte gegen ein Schuldgefühl und kaufte einem entgegenkommenden Blumenverkäufer zehn rote Rosen ab. Diese wird er seiner Frau schenken. Und die Abende künftig zuhause verbringen.

 

Energiewende und andere Wendepunkte im Leben

Von xenor am 16. Mai 2011 veröffentlicht

Die Schwedin Laura und Ralph, ein deutscher Forscher hatten sich vor über zehn Jahren auf einer Demonstration gegen Atomkraft kennen gelernt. Ralph suchte damals eine Mitarbeiterin für sein neues Institut, das Forschungsprojekte zur Energiewende realisierte, und Laura suchte – nach ihrem Studienabschluss in theoretischer Physik einen Job. Was zu Beginn als eine reine Arbeitsbeziehung geplant war, wurde nach erstaunlich schneller Zeit eine hochkarätige Freundschaft und bereits nach kurzem mündete diese Freundschaft in einer Liebesbeziehung. Seit 2001 waren die beiden ein Paar und ihre Beziehung verband Arbeit an den erneuerbaren Energien, politische Interessen und das Private. Eine wirklich herausfordernde Konstellation!

Die Tage der beiden verliebten Aktivisten waren daher auch von einer unendlich langen Liste von Tätigkeiten gekennzeichnet. Laura arbeitete tagsüber im Labor und abends ging sie noch mit ihm aus und diskutierte mit ihrem Chef und Geliebten heisse Themen wie “Energiegewinung aus Biomasse”. Was für ein Leben! Nie wurde den beiden langweilig! Gemeinsam entwickelten sie Strategien gegen die Dominanz von Kernenergie, Gas, Steinkohle und Öl und schufen Projekte zur nachhaltigen Energieerzeugung aus Ressourcen wie Sonne, Windkraft und Abwärme!

Laura liebte Ralph sosehr, dass sie ihn bereits nach drei Monaten heiratete und ihm nach weiteren 6 Monaten einen Sohn gebar, den sie – der gemeinsamen Arbeit wegen  – Brennstoffzelle nannte! Nach Brennstoffzelle (“Brenni” wurde der süsse Knirps gerufen!) folgten noch zwei weitere Kinder (der Junge Windkraft sowie das Mädchen Solara) und Ralph und Laura arbeiteten und liebten sich die ganzen Jahre durch.

Die Energiewende und die persönliche Wende:
Nachdem sie viele Jahre lang gemeinsam gelebt, geliebt und gearbeitet hatten und sich gemeinsam für die Energiewende stark gemacht hatten, begann es Ralph aber dennoch langweilig zu werden und er legte sich mehrere Geliebte zu. Diese Geliebten wohnten alle in den sonnenintensiven, südlichen Ländern des Mittelmeers und auf allen seinen Dienstreisen besuchte Ralph sie. Egal ob ihn seine Reisen im Dienste der Energiewende in die Sahara nach Desertec, führten, in die Spanischen Solarkraftwerke, die er geplant hatte, die Windparks an der portugiesischen Atlantikküste oder nach Masdar City, der Ökostadt am Persischen Golf, die er gegründet hatte. Bei jedem Projekt hatte Ralph immer eine oder mehrere Geliebte. Neben der Energiewende trat wohl auch eine persönliche Wende im Leben von Ralph ein. Traurig aber wahr!

Natürlich konnte diese Tatsache der sensiblen Laura nicht verborgen bleiben. Laura, die durch die schändlichen Aktivitäten ihres Ehemannes sehr traurig war, musste sich also rächen. Denn verlassen konnte sie Ralph keinesfalls. Ralph war inzwischen – wohl durch durch Lauras unermüdliche Arbeit an den Forschungsprojekten über erneuerbare Energien – berühmt geworden und an eine Scheidung war war keinesfalls zu denken. Also kaufte Laura ein unsaniertes Haus das schrecklich isoliert war und kaum über ein effizientes Heizsystem verfügte. Dann ließ sie dort Atomstrom einleiten und heizte einen langen Winter lang nur mit Steinkohle. Nach dem Winter kehrte Ralph aus dem sonnigen Spanien zurück wo er alle seine Solarkraftwerke inspiziert hatte.

Als er Laura im schlecht isolierten Haus sah und merkte wie sie das ineffiziente Heizsystem des Gebäudes mit reiner Steinkohle heizte wurde ihm schwindlig. Er verlor das Gleichgewicht und der Boden unter seinen Füssen schwankte. Seine geliebte Laura in einem von Atomstrom und Steinkohle beheizten Haus!  Lauras Rache war perfekt. Der einstige Ökopionier und Forscher musste all seine Projekte abgeben und die öffentlichen Förderungen, die er erhalten hatte zurückzahlen. Sein Ruhm war über Nacht zerstört worden und seine gesamte Arbeit war wertlos geworden. Wer wollte schon grüne Energie von einem Mann beziehen, dessen Ehefrau und Mitarbeiterin mit Atomstrom und Steinkohle heizte.

Rache ist ein Gericht, das am besten schmeckt, wenn es kalt serviert wird, sagt man in Lauras Heimat Schweden und der zarten und sensiblen Laura dürfte in diesem Fall die Rache wohl mehr als geglückt ein.

Amtsweg

Von tiny story am 29. Mai 2008 veröffentlicht

Herr und Frau Bürger gehen zum Amt

Montag
„Ach, heute kommen manche Kollegen später und müssen dann die Arbeiten für die ganze Woche vorbereiten. Kommen Sie einfach morgen wieder.“

Dienstag
„Heute ist auch der Amtsleiter im Haus und hat alle zu einer Besprechung einberufen, besser Sie kommen morgen wieder.“

Mittwoch
„Mitten in der Woche ist viel zu tun, das ist immer ein schlechter Termin, besser Sie versuchen es morgen wieder.“

Donnerstag
„Heute sind alle mit dem Abarbeiten der vielen Anträge dieser Woche beschäftigt, daher werden heute keine neuen Anfragen angenommen, versuchen Sie es einfach morgen wieder.“

Freitag
„Aufgrund der vielen Überstunden haben heute alle Zeitausgleich genommen. Aber am Montag sind alle wieder da.“