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Ewige Liebe

Von vampirweihnacht am 3. Februar 2012 veröffentlicht
Thema: Gruseliges

Schwarze Weihnachten. Auf diese Party habe ich mich schon so ungefähr seit Ewigkeiten gefreut. Mindestens seit November, als ich mir im Anti-Schick diese Lackschuhe gekauft hatte. Ich bin total aufgeregt. Wir sind nun alle so undergroundig, die Mädels und ich.
Das ist wie der Eintritt in eine utopische Welt. So etwas wie die coole Erleuchtung. Vor kurzem war man noch unscheinbar und auf einem Schlag wird das Leben zur alternativen Liebesgeschichte, die gleichzeitig eine Independent-Rockoper ist.

Vampirmädchen

Auf der Feier gibt es viele Fraktionen. Das finde ich eher dämlich. Da legen sich gar nicht Wenige extrem fest. Sie sind reine Gruftis oder reine Punks oder hundertprozentig Waver. Möchte ich nicht verurteilen. Ganz im Gegenteil. Wir schreiben das Jahr 1987. Da kann jeder machen, was er will. Außerdem ist es viel aufregender, wenn Leute tonnenweise Haarspray einsetzen, um sich gigantische Flats oder Gruftimähnen zu stylen. Nur ich möchte eben schon noch klassisch gut aussehen, weiblich, mit langen blonden Haaren. Mir braucht da niemand etwas zu erzählen von “Style geht vor”. Die Jungs stehen nicht auf Mode, sondern auf Reize. Daran kann kein Subkultur-Knigge etwas ändern. Lieber ein wenig pseudo und eine glatte Sieben (mit Tendenzen zur Acht), anstatt den Popkulturtest mit einem originellen Mädchenirokesen zu bestehen und deshalb nur Fünf zu sein.
Ich ziehe mir die Overknees unauffällig zurecht und bemerke, wie all die schwarz gekleideten Jungs mit den Bierflaschen mich grinsend anstarren. Heute könnte ich auf eine glatte Acht kommen.

Auf der Tanzfläche geht es ab. Traue mich gar nicht in die Nähe. Ist auch gerade Pogozone. Sie spielen “Anarchy in the UK” und alles tritt aufeinander ein. Viele fliegen immer wieder auf den Boden; alle bis auf den großen Alpha-Psychobilly, der mit seinen breiten Schultern alles wegfegt, was ihm in die Quere kommt. Gerade beginne ich, mich zu ihm hingezogen zu fühlen, da taucht dieser Typ auf. Der aus der Levis Werbung. Es ist nicht genau der, was gut ist, er sieht nämlich noch besser aus. Weil er da ist und auf die gleiche Weise Subkultur wie ich. Er ist weder Ted noch Popper, erinnert aber von seinem Blick irgendwie an James Dean. Unter seiner Rockerlederjacke trägt er eine Jeansjacke und darunter ein Sisters of Mercy T-Shirt. First and last and always. Ich habe das Gleiche im Schrank. Wahrscheinlich hat er es wie ich im WOM gekauft. Ich könnte schreien. Selten war ich mir so sicher, dass meine Entscheidung für die ewige Jugend richtig war.

Er tanzt in meiner Nähe. Glaube er hat mich bemerkt. Jetzt spricht er mich an, versucht empathisch zu sein. Er denkt wirklich, dass er die Situation kontrolliert. Dabei habe ich in den vorhergehenden Sekunden über sein Schicksal entschieden. Er hat absolut keine Ahnung, was ihn erwartet und aus seinen hübschen aber harmlosen Leben herausholen wird. Das ist so süß.

Es breitet sich eine kleine Panik unter den Leuten aus. Alarm! Angeblich sollen um die fünfzig Teds kommen. Die haben es auf die Waver und Gruftis abgesehen. Ich mache mir auch ein wenig Sorgen. Um meinen Abend. Um mein Dessert. Nicht dass irgendein Schlägertyp plötzlich neidisch wird, weil er die Welt der James Dean Man-Gods auf einmal vor sich stehen hat und auf das eindrischt, was ihm von Natur aus verwehrt wurde.
Er will nicht feige wirken, während ich ihm zwischen den Zeilen klarmache, dass es mitnichten um seine oder meine Sicherheit geht, sondern dass ich nur nach einem Grund suche, ihn an einen stillen Ort zu locken. Wir knutschen. Ich führe seine Hand unter meinen Rolli. Er kapiert. Wir gehen Hand in Hand nach draußen.

Wir suchen in einer stillen Straße nach einer Stelle, die niemand sehen kann. Knutschend drücke ich ihn gegen eine Hauswand. Ich freue mich schon darauf, ihn auf die vielfältigsten Weisen zu vernaschen. Doch ich muss mich beherrschen. Ich will ihn nicht nur haben, sondern zu seinem Mythos werden. Das große Rätsel seines ewig langen Lebens. Er ist auserwählt, ob er es will oder nicht. Viele Männer würden wahrscheinlich mit ihm tauschen wollen. Auch wenn sie wüssten, dass sie keine normale Romanze vor sich haben, sondern die aufregendste Vampir-Liebesgeschichte, die je ein sterblicher Junge aus unserer Stadt erleben durfte.
Meine herausfahrenden Fangzähne wird er vergessen. In diesem angetrunkenen Zustand wird er sich vermutlich gerade mal an irgendetwas scharfes Blondes erinnern können, das mit ihm herumgemacht hat. Sein Blut schmeckt nach Jugend. Es ist so rebellisch. Während des Trinkens nehme ich einen Hauch seiner Hoffnungen und Fantasien wahr. Doch ich muss von ihm ablassen. Es werden noch viele Gelegenheiten kommen, von ihm zu kosten, denn ich kann ihn jetzt immer fühlen, egal wo er sich gerade aufhält. Kurz überlege ich, ihn in mein gespieltes Leben zu lassen, ihn meinen Freundinnen aus der Schule vorzustellen, in die ich mit gefälschten Unterlagen und der Hilfe eines befreundeten Vampirpaares hineinkam, die sich als meine Eltern ausgegeben hatten. Aber nein. Was er braucht, ist das Unerreichbare, das ihm Rätsel aufgibt. Und das nun wirklich aufhören muss, von ihm zu trinken, wenn es ihn nicht jetzt schon in einen Vampir verwandeln möchte. Ich höre auf. Er schaut mich fragend an, doch in seinen Augen breitet sich bereits das Vergessen aus.