Fotos sind keine Heringe
Von shorty am 27. Juni 2010 veröffentlichtEs ist schon finster draußen und das Museum hat längst geschlossen. Nur im Innern des Ehrensaals strahlen noch die goldenen Kronleuchter. Samtene Vorhänge verdecken die Fenster. Etwa 300 Menschen sitzen dicht gedrängt im Ehrensaal des Museums und warten auf den Vortrag von Dr. Eisenmann. Unruhig quasseln, plaudern und diskutieren sie, alles unter den weisen Augen längst verstorbener Naturwissenschaftler: Büsten von Wilhelm Conrad Rönthgen, Albert Einstein und Marie Curie zieren die mit Granitpanelen dekorierten Wände.
Thomas schwirrt um die einzigen Personen, die vor dem Podium noch stehen – den Fotoapparat fest in die Hände gekrallt. Und dann klack, klack und das Blitzlicht zuckt hervor, immer wieder, Foto um Foto. Gern macht er diese „Gesellschaftsfotografie“ nicht, aber wenn es sein muss, dann muss es sein. „Das ist immer so gespielt und aufgesetzt“, sagt Thomas. Ganz vorn am Podium fällt er schon rein äußerlich auf: Turnschuhe, Jeans und Joggingjacke neben Anzug und Kostüm des Vortragenden und seiner Begleitung. Nach jedem Foto blickt er hastig auf das Rückteil der Kamera, drückt eilig ein paar Tasten, macht einen Schritt zur Seite und setzt erneut zum Foto an. Ein Auge schaut durch den Sucher der Kamera, das andere ist zugekniffen. Klack, klack und immer wieder der prüfende Blick auf das Display. Thomas zieht die Augenbrauen hoch.
Stille kehrt im Saal ein, die Beleuchtung wird gedimmt, Dr. Eisenmann steigt auf das Podium und erstrahlt im Spotlicht. Thomas springt ein letztes Mal nach vorn, klack, klack macht die Kamera – jetzt in der andächtigen Stille ist der Auslöser der Kamera noch deutlicher zu hören. Ein letztes Mal zuckt das Blitzlicht. Der Vortrag beginnt und Thomas verschwindet in der Dunkelheit des Saals. Seine Arbeit als Fotograf im Museum ist für heute getan, wieder sind es Überstunden geworden.
Am nächsten Morgen steht Thomas vor dem Haupteingang des Museums. Er nimmt noch einen Zug von seiner Zigarette. Zeit, um noch einmal inne zu halten. „Damals“, fängt er an zu erzählen, ging er nach der Ausbildung als Fotograf als Portraitfotograf in eine Kleinstadt. Dort hielt er es aber nicht lange aus. „Nach Berlin wollte ich“, sagt er und drückt die Zigarette am Aschenbecher aus. Ihn erfüllte das Portraitieren nicht mehr. Hier im Museum sei er beruflich glücklich geworden, gibt er zu, atmet tief ein und aus und schmunzelt. Die Arbeit als freier Fotograf bei Tageszeitungen kann er sich dagegen überhaupt nicht vorstellen. Es sei ihm ein Graus, Veranstaltungen zu fotografieren. Falten legen sich auf seine Stirn und dann fährt er fort: „Die Leute sind so aufgesetzt“ und das gefällt ihm nicht. Am liebsten nimmt er sich viel Zeit und Ruhe zum Fotografieren. Und die Ausstellungsstücke hier im Museum laufen ja auch nicht weg.
Mit dem Einzug der digitalen Bildtechnik vor ungefähr 9 Jahren hatte Thomas keine Probleme und Angst davor schon gar nicht. Auch wenn er die Digitalisierung nicht begrüßt, so findet er sich mit ihr doch ab. Computer ersetzen das Schwarz/Weiß-Labor, das die Fotografen nur noch selten nutzen. Thomas bricht lieber eine Lanze für die analoge Fotografie mit Film, Dunkelkammer, Chemikalien und Fotopapier. Mit 15 Jahren bekam er seine erste Spiegelreflexkamera. Der Vater war schuld: „er führte mich in die Fotografie ein“, berichtet er stolz und mit leuchtenden Augen. Und dann ist er dabei geblieben. Bis zum Beginn der Digitalisierung reproduzierte das Museum alles noch im Schwarz/Weiß-Labor. Das hat sich geändert: Analog ist heute nur noch der Aufnahmeprozess; das Dia oder Negativ wird eingescannt und nur noch digital weiterverarbeitet. „Heutzutage“, beschwert er sich, lernen die Fotoschüler nur noch die „Maus über den Bildschirm“ zu bewegen. Dabei stiert er auf die zwei vor ihm stehenden Bildschirme und bearbeitet die Fotos des Vortrags am Vorabend nach. Klick, klick, digitale Farbregler hier, Weichzeichner da. Im Labor wäre es nicht so schnell gegangen, gibt er zu, rümpft aber gleichzeitig die Nase. Bevor er Feierabend macht, will er noch alle Fotos fertig haben. Die Bildstelle im Museum bekommt von ihm eine gebrannte CD mit allen Bildern und dazu noch einen Kontaktabzug, der Übersicht wegen. Aber die Gestaltung eines Einlegers für die CD-Hülle lässt er sich nicht nehmen, wenngleich diese nicht gefordert ist. Für ihn ist sie eine Hommage an die alte analoge Zeit, wenn er schon keine echten Fotos weitergeben kann, sondern nur eine gebrannte CD. Denn „Fotos sind keine Heringe. Die wickelt man nicht in Zeitung, die verpackt man richtig“.