Short Story

Kurzgeschichten mit Links

„Nur die Schmetterlinge im Bauch haben überlebt“ Teil 2

Von Biggi42 am 9. Juli 2011 veröffentlicht

Als wir uns physisch näher kamen, verschwanden seine zwei Freunde heimlich und wir standen allein an der Bar.

Mir machte es auch gar nichts mehr aus, dass meine Freundin bis jetzt noch nicht aufgetaucht war. Hatte ich doch einen wunderbaren, amüsanten und intelligenten Gesprächspartner an meiner Seite! Den Umstand, dass er verheiratet war, verschwieg er. Er trug auch keinen Ehering am Finger. Doch er roch förmlich nach Trauschein! Außerdem hatte er das passende Alter, um schon Ehemann und Vater zu sein. Geschieden ist er sicher nicht, welche Frau lässt schon so einen Mann freiwillig laufen, dachte ich mir.

Man könnte meinen, ich hätte mit Mitte Dreißig auch schon das Alter gehabt, mein Dasein als Ehefrau zu fristen. Aber ich hatte mich immer davor gedrückt. Irgendwie konnte ich es mir kaum vorstellen, ein Leben lang nur mit einem Mann zusammen zu sein. Mir genügten schon meine verflossenen Lebensabschnittspartner. Diese Abschnitte beliefen sich immer auf ungefähr fünf Jahre. Dann hatte ich die Nase voll. Ich wollte nicht immer nur die perfekte Hausfrau sein. Das war ja nicht alles, was die Männer verlangten. Nein, ich musste ja neben Haushalt und Job die verständnisvolle Geliebte spielen. Also, was zuviel ist, ist zuviel. Irgendwo musste man Abstriche machen. Die Konsequenz daraus war, dass ich die Rolle als Geliebte einfach weg ließ. Was wiederum nicht gerade auf Verständnis des männlichen Gegenübers stieß. Aber mein Bedürfnis nach Sex schlief nach dem leidigen Alltagsstress einfach ein. Das Ergebnis war die Trennung. Dieser letzte Schritt tat mir nie besonders weh, da ich mich im Laufe der Jahre „entliebt“ hatte. Die kleinen Unarten der Männer, die im anfänglichen Liebestaumel als liebenswürdige persönliche Eigenheit ausgelegt wurden, entpuppten sich während der Jahre als nervenaufreibende Alltagstorturen. Ich sage ja gar nichts mehr von der klassischen offenen Zahnpastatube. Aber auf diese Biertrinkenden, Füße auf den Tisch lümmelnden, zwischendurch an den Genitalien kratzenden Ungeheuer, die mir nächtens schnarchend den Schlaf raubten, konnte ich verzichten. So gesehen war ich eine glückliche Single-Mama, die plötzlich unverhofft auf ihren Traumprinzen stieß.

Die Stunden mit Peter vergingen wie im Flug. Da meine Freundin Nina sicher irgendwo mit ihren Arbeitskollegen versumpft war, wechselten er und ich das Lokal. In einer Bar mit intimer Atmosphäre verdrückten wir uns in einen Winkel. Da wir uns schon sehr viel erzählt hatten, kamen wir nun zum wesentlichen. Der Körperkontakt wurde zunehmend inniger. Plötzlich streichelte er an meinen Armen entlang, seine Finger berührten meinen Hals und wanderten weiter zu meinem Kinn. Er hob es sanft in die Höhe, schaute mir in die Augen und fing an mich zu küssen. Ich ließ mich einfach fallen und genoss seine innigen Küsse. Diese Intensität elektrisierte mich, seine Berührungen raubten mir den Verstand. Sein Körper war der pure Luxus! Ich konnte nicht genug davon bekommen, seine muskulösen Oberarme und seinen Waschbrettbauch zu streicheln. Ist dieser Mann eigentlich echt, fragte ich mich. So ein gut aussehendes, intelligentes, witziges und erfolgreiches Exemplar war mir bisher noch nie über den Weg gelaufen.

Die Nacht ging rasend schnell zu Ende. Peter begleitete mich noch zu meinem Auto. Der Abschied fiel sehr emotional aus, eigentlich hemmungslos. Ich spürte seine Erregung. Ich will mehr von dir, hier und jetzt, hauchte ich ihm in sein Ohr. Plötzlich hielt er inne. Heute nicht mehr, es ist schon spät, ich muss nach Hause, erklärte er mir. Er wünschte mir noch ein schönes Wochenende und weg war er. Ich stand da wie paralysiert. Starker Auftritt, niveauloser Abgang, dachte ich mir. Ich hatte nicht mal seine Telefonnummer.

Auf dem Nachhauseweg ließ ich diese Nacht Revue passieren. Ich glaube, ich hab mich in den Typen verknallt, schoss es mir durch den Kopf. Und das am ersten Tag, das so was mir passiert! Aber meine Erfahrung mit vergangenen Affären ließ mich hoffen, dass dieses Gefühl genauso schnell wieder verschwinden würde. Liebe auf den ersten Blick ist beim zweiten Blick gleich wieder Vergangenheit, erinnerte ich mich. Vielleicht war es auch nur ein schöner Traum, eine Nacht mit dem Cola Light Man verbracht zu haben, redete ich mir ein.

Die folgenden Tage erlebte ich wie in einer anderen Welt. Eine Welle kam auf mich zu und überschüttete mich mit Gefühlen, die ich bisher noch nie erlebt hatte. Die Begegnung mit Peter hatte mich ungemein beflügelt und schlug sich auch positiv in meiner Umgebung nieder. Ich schmunzelte in den Tag hinein und war energiegeladen wie schon lange nicht mehr. Die Wochentage waren ausgefüllt mit viel Arbeit, die Abende verbrachte ich mit meinem Sohn.

Natürlich hatte ich Nina schon von Peter erzählt. Sie wollte dieses Prachtexemplar auch so bald als möglich kennen lernen. Nina war das komplette Gegenteil von mir, äußerlich wie auch emotional. Wahrscheinlich waren wir deshalb so gute Freundinnen. Wir verabredeten uns wieder in unserem Stammlokal. Nina sah sehr gut aus mit ihren rot gefärbten Haaren, die kurz geschnitten doch den gewissen weiblichen Touch nicht verloren hatten. Außerdem besaß sie eine Traumfigur mit vielen Rundungen an den Stellen, die die Männer so lieben. Sie verstand es auch, sich vorteilhaft zu kleiden und ihren Busen perfekt in Szene zu setzen. Daneben sah ich ziemlich flachbrüstig aus. Aber zu mir passte es irgendwie, da ich allgemein ein zierlicher Typ war. Nina war zwei Jahre älter als ich, seit einigen Jahren geschieden und noch nicht wieder vergeben. Dabei sehnte sie sich so nach einem Mann, den sie umsorgen konnte. Wie gesagt, das komplette Gegenteil von mir.

Wir saßen wie immer an der Bar und ließen unsere Arbeitswoche Revue passieren. Einige Bekannte gesellten sich zu uns um Neuigkeiten auszutauschen. Doch mein Traumtyp tauchte nicht auf, auch seine Freunde konnte ich nicht finden. Irgendwie hatte sich dieser Freitag für mich erledigt. Insgeheim hoffte ich darauf, dass er doch noch kommen würde. Aber es war schon sehr spät und meine Hoffnung schwand dahin. Die Männer, die uns an diesem Tag über den Weg liefen, waren keine intensivere Auseinandersetzung wert. Größtenteils schöne Fassade, aber nicht mehr dahinter. Im Klartext: kaum machten sie den Mund auf, verging es mir, die Konversation aufrecht zu halten. Dementsprechend früh war ich daheim und schlief mit den Gedanken an Peter ein.

Fortsetzung folgt!

„Nur die Schmetterlinge im Bauch haben überlebt“

Von Biggi42 am 15. Juni 2011 veröffentlicht

Peter sagte kürzlich zu mir, dass es ein großer Fehler war, sich wegen mir scheiden zu lassen und somit seine drei Kinder verlassen zu haben. Ich habe es nie von ihm verlangt. Die Zeit als seine Geliebte war die Wunderbarste in meinem Leben.

Ich sehe ihn vor mir, als wir uns das erste Mal begegneten. Ich saß an einem frühsommerlichen Freitagabend in meinem Stammlokal an der Bar und wartete auf meine Freundin Nina. Sie hatte Betriebsausflug und wollte mich danach noch treffen, um ein wenig um die Häuser zu ziehen. Zwei Single-Mamas auf der Pirsch. Man gönnt sich ja sonst nichts. Im Lokal war wenig los. Die Hoffnung, einige Bekannte zu treffen, verlief im Sand. Die Uhr tickte unermüdlich und machte mich deprimiert. Ich hoffte, dass Nina bald kommt, damit ich nicht wie bestellt und nicht abgeholt hier herum hängen musste.

Eigentlich hatte ich nie ein Problem damit, abends allein weg zu gehen. Doch an diesem Tag sah es trist aus, meine kommunikative Ader auszuleben zu können. Es waren keine Bekannten unterwegs, um einen gepflegten Plausch zu führen. Ich schlürfte an meinem Getränk, als plötzlich zwei Männer im Lokal auftauchten und auf mich zusteuerten. Optisch gefielen mir die beiden überhaupt nicht, doch der Blonde hatte wenigstens ein schelmisches Grinsen im Gesicht, welches viel versprechend aussah. Die Auswahl an weiblichen Gästen war ziemlich eingeschränkt und so stand ich als Zielscheibe an der Bar genau richtig. Ich strich mir meine langen blonden Haare aus dem Gesicht, rückte meine Brille zurecht, setzte mein Wochenend-Lächeln auf und wartete auf eine müde Anmache. Doch anstatt banale Sprüche wie „wartest du auf jemanden“ oder „hast du mal Feuer“ ging der Blonde stichgerade auf mich zu und fragte mich auf kumpelhafte Art „Hallo, wie geht’s dir denn so?“ Ich war einigermaßen perplex und durchforstete mein Gehirn, ob ich diesen Typen schon mal begegnet war und in welchem Zustand. Doch ich erkannte ihn auch nach intensivem Nachdenken nicht. Ich antwortete ihm mechanisch, dass es mir gut gehe und ich auf eine Freundin warten würde. Plötzlich machte er meine Handtasche auf und befüllte sie mit dem ganzen Inhalt eines Zuckerl-Glases, das auf der Bar stand. „Für deine Kinder daheim, ich bring auch immer was mit“, meinte er mit einem Lachen. Ich war sehr belustigt über diesen Typen und es entwickelte sich ein amüsantes Gespräch.

Plötzlich trat er auf. Nein, er erschien. 1,90m geballte Manneskraft. Die Haare sehr kurz, braune Augen in einem attraktiven Gesicht, den Mund zu einem umwerfenden Strahler 80er Lächeln geformt. Er stieß als letzter zu seinen Freunden und empfing auch mich sofort mit großem Hallo. Mir war, als fing der Boden zu tanzen an. Sofort fand ich Gefallen an diesem Typen und ernannte ich heimlich zu meinem zukünftigen Ex-Liebhaber.

Ich hatte nie ein Problem damit, Männer kennen zu lernen. Aber im Laufe der Zeit gingen sie mir ziemlich auf die Nerven. Besonders die, die eine richtige Beziehung mit mir wollten. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits seit vier Jahren ohne fixen Partner. Ich genoss diese Zeit, tun und lassen zu können was ich wollte. Und keinen nach seiner Meinung zu fragen. Oder gar zu betteln, einmal allein weg gehen zu dürfen und danach einen Bericht über den vergangenen Abend abzuliefern. Außerdem hatte ich wochentags keine Zeit für einen Mitbewohner. Mein Sohn Stefan und mein Job vereinnahmten mit voll und ganz.

Stefan war gerade 6 Jahre alt und wir genossen den letzten Sommer vor Schulbeginn. Damals arbeitete ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Wiener Museum, wo ich mir meine Zeit sehr gut einteilen konnte, um mich auch auf Stefan konzentrieren zu können. Ich hatte Theaterwissenschaft zu studieren begonnen, nachdem ich meinen Sohn auf die Welt gebracht hatte. Das Studium hatte mir sehr großen Spaß gemacht und ich widmete mich jeder freien Minute der Uni. Das hatte mein damaliger Freund und Erzeuger von Stefan nicht so gerne gesehen. Es war einer der Gründe warum unsere Beziehung zu Ende ging. Als ich dieses private Kapitel hinter mich gebracht hatte, ging es mir wesentlich besser. Ich absolvierte in Rekordzeit mein Studium und knüpfte zugleich Kontakte zum zukünftigen beruflichen Umfeld. So kam ich schlussendlich zu meinem Traumjob. Ich konnte somit meinem Sohn und mir ein unbeschwertes Leben bieten.

Ich brauchte keinen Mann, mein Leben war voll und ganz ausgelastet. Abends war ich froh, wenn mein Kleiner im Bett war und ich es mir vor dem Computer gemütlich machen konnte. Oder ich hüpfte mit meinen Gewichtsmanschetten vor dem Fernseher herum, damit meine Figur männertauglich blieb. Da brauchte ich schon gar keine Zuschauer. Da kam mir ein verheirateter Mann gerade richtig. Der Kontakt beschränkt sich in so einem Fall auf einige Stunden in der Woche, vorzugsweise Freitagabend. Das ließ sich bei mir immer gut einrichten, da Stefan die Wochenenden bei seinem Erzeuger verbrachte. Diese Stunden mit einem Liebhaber waren sehr intensiv und romantisch. Der Alltagstrott blieb vermieden und so konnte ich immer nur auf schöne Zeiten zurück blicken. Die ideale Lebensform für mich!

Und dieser Typ schien prädestiniert dafür, mir meine Freitagabende zu versüßen. Wir kamen sofort ins Gespräch. Seine kokette Bemerkung, für eine Blondine wäre ich ja ziemlich schlagfertig, störte mich nicht im Geringsten. Im Gegenteil, er forderte mich nur dazu heraus, mich zu noch mehr geistigen Höhenflügen hinreißen zu lassen. Endlich ein Mann, der gut aussieht und mich sogar intellektuell herausfordert, dachte ich mir.

Wie es mit mir und Peter weiterging erfährt ihr im nächsten Teil…

Der alte Mann und die Rolltreppe

Von kleineSchwester am 21. Juni 2010 veröffentlicht

Seit ein paar Wochen wohne ich nun dort. Ein ruhiger Stadtteil in einer kleinen Großstadt, in der die Menschen wenig seltsam sind. Vorbei an einem Bettler mit Hund, einem Gemüsestand und einem in einem fort plappernden Fotoautomaten gehe ich jeden Tag zur Arbeit. Der Gegenwind in der Unterführung zur U-Bahn kann  schon mal unangenehm sein, aber nicht seltsam.

Jeden Tag wenn ich auf die Rolltreppe zu gehe, kommt mir ein alter Mann entgegen. Ich habe keine bestimmten Zeiten, zu denen ich zur Arbeit gehe. Er kommt mir immer entgegen.  In Gedanken versunken schlurft er die Treppen hoch, gesenkter Kopf mit schütterem Haar. Aber gleichmäßig ist sein Schritt und bestimmt. Jeden Morgen.

Jeden Morgen steht er auf. Lässt die Beine aus dem Bett baumeln und blinzelt dem feinen Sonnenstrahl entgegen, der durch die Vorhänge fällt. Seine Füße gleiten in die Filzpantoffeln, die er seit Jahren immer an der gleichen Stelle vor seinem Bett abstellt. Dass die rechte Seite seines Doppelbetts leer bleiben wird, ist ihm nicht bewusst. Ein Geräusch reißt ihn aus seinen Gedanken. Ein Schlüssel dreht sich im Schloss und die Haustür öffnet sich. Eine junge Frau kommt herein. Jeden Morgen. Er ist sich nicht ganz sicher, wer sie ist und zögert. Als sie aber bestimmt und selbstverständlich in seine Wohnung tritt, kann er dem nichts entgegen setzen. Ein wenig ängstlich schaut er sie an. Sie erklärt, ihm sie sei doch die Marie und käme jeden Morgen. Sie würden sich doch schon gut kennen.  Er versucht sie zu umarmen, aber sie löst sich sofort aus seiner Umarmung und schiebt ihn ins Schlafzimmer.  Als er auf der Bettkante sitzt, noch etwas irritiert, beginnt sie seinen Schlafanzug aufzuknöpfen. Sie hilft ihm vorsichtig aus dem Oberteil und hält ihn fest, als er mit zittrigen Knien versucht sich die Hose auszuziehen. Hinter den Vorhängen verbirgt sich immer noch der neue Tag. Im Sonnenstrahl, der hindurch fällt tummeln sich die Staubpartikel und glitzern wie kleine Sterne. Als sie fertig sind und er in der feinen Bundfaltenhose und dem guten Hemd sich auf den Weg in die Küche macht, ist sie schon dort und gießt heißes Wasser auf das Kaffeepulver. Ein angenehm er Duft nach Sonntagsfrühstück macht sich breit und lässt in ihm ein wohliges Gefühl aufkommen. Gedanken an seine Frau kommen auf. Wie die Zwei geheiratet haben und in bescheidenen Verhältnissen zusammen mit der Familie und Freunden ein Fest gefeiert. Damals in ihrem Wohnzimmer in der kleinen Wohnung an Ende der Stadt. Es gab Erdbeerkuchen mit den eigenen Erdbeeren aus dem Garten seiner Mutter und seit Tagen hatten sie keinen Kaffee mehr getrunken, um genügend Kaffeepulver für ihre Hochzeitsgäste zu haben.

Sanft streicht die junge Frau ihm über den Arm und fragt ihn, ob er lieber Marmelade oder Käse auf sein Brötchen möchte. Er kann sich nicht entscheiden und möchte einfach nur Butter. Langsam kaut er und schaut die junge Frau immer wieder verwundert aus den Augenwinkeln an. Gut sieht sie aus, aber noch so jung. Könnte seine Enkelin sein. Warum isst sie nur nicht mit? Die jungen Dinger sind aber auch immer auf Diät. Sie greift nach seiner Hand. Warm ist ihre und ganz zart. Sie öffnet seine faltige Hand und lässt drei Pillen hinein fallen. Was das nun wieder soll? Fragend schaut er sie an und sie sagt, die hat der Doktor verschrieben. Warum? Er sei doch nicht krank. Aber fürs Herz und die Durchblutung hat der Doktor gesagt. Jeden Tag führt sie diese Diskussion mit ihm. Mit plötzlicher Kraft schmeißt er die Tabletten zu Boden und schaut sie wütend an. Mit seinem Herzen sei alles in Ordnung. Sie wolle ihn vergiften. Wer sei sie überhaupt, dass sie sich hier so aufführt. Die junge Frau atmet tief durch.  Er benötige diese Medikamente dringend und hier, wenn er wolle, könne er das Rezept von Dr. Clemens sehen. Sie hält ihm eine Liste unter die Nase, auf der für jeden Tag zu sehen ist, welche Medikamente er genommen hat. Mit einem dicken Haken dahinter. Gestern, vorgestern und die Tage davor. Jeden Tag. Sie bückt sich und sammelt geduldig die Tabletten vom Boden auf und reicht sie ihm. Sein Widerstand scheint gebrochen. Gedankenverloren schaut er durch sie hindurch und schluckt die Medizin.

Jetzt würde er gerne seine Runde drehen, sagt er und geht in Richtung Flur, wo seine Schuhe und seine Jacke am Haken hängen. Die junge Frau hilft ihm in die Jacke und bindet ihm die Schuhe. Seine knochigen Finger kommen mit dem Binden der Schleife nicht mehr zu recht. Gemeinsam verlassen sie die Wohnung. Sie fragt, ob er den Schlüssel habe und seinen Geldbeutel mit seinem Ausweis. Dann steigen sie gemeinsam in ihren Kleinwagen. Sie muss sich beeilen. In zehn Minuten muss sie beim nächsten Patienten sein und ihm helfen, seinen Tag zu beginnen. Nach kurzer Fahrt stoppt sie und lässt ihren Beifahrer zur Tür hinaus. „Passen Sie auf sich auf. Ich komme morgen Früh wieder. Wie jeden Tag.“ Er nickt und lässt die Tür zu fallen. Er weiß genau, wo er hin möchte. Er muss gar nicht mehr viel darüber nachdenken. Vorbei am Bettler mit dem Hund, dem Gemüsestand und dem plappernden Fotoautomaten geht er zum U-Bahnstation und direkt zur Rolltreppe. Erfährt sie runter und ihm fällt ein, dass er seine Fahrkarte nicht gestempelt hat. Er geht die Treppe wieder hoch, in diese Richtung gibt es keine Rolltreppe, er muss gehen, aber wie von einer unsichtbaren Hand gezogen, geht er gleichmäßig und mit festem Schritt nach oben. Oben angekommen, wundert er sich, er wollte doch mit der U-Bahn ins Krankenhaus zu seiner Frau fahren. Er fährt wieder abwärts und bemerkt, er hat seinen Fahrschein vergessen zu stempeln. Die U-Bahn fährt ein. Seine Frau wird sich schon wundern, wo er bleibt. Aber es nützt nichts, er muss seinen Fahrschein stempeln. Also geht er wieder hoch. Warum er in die falsche Richtung gegangen ist, kann er sich nicht erklären. Nun aber schnell wieder runter, die nächste U-Bahn kommt gleich.

Nach ein paar Wochen habe ich mich auf die Bank in der U-Bahnstation gesetzt und ihm zu geschaut. Eine Stunde lang ging er auf und ab, ganz regelmäßig, nur unterbrochen von einem kurzen Wundern. Das hat er vergessen. Wie jeden Tag. Auf und Ab. Jeden Tag. Auf und Ab. Diesen Tag vergessen.

Die Liebe ist eine Gratwanderung

Von smallone am 15. September 2009 veröffentlicht

Liebe ist kein Dauerbrenner. Liebe ist auch kein Kinofilm. Liebe ist eine Momentaufnahme. Drei Sätze, die zum weiterlesen motivieren. Denn Magowan musste feststellen, dass er zwar verliebt war und Liebe spürte. Insbesondere in den Momenten, in denen er um die Liebe kämpfte. Magowan bemühte sich, genoß das Gefühl, etwas für die junge Beziehung zu tun. Das einzige was ihm blieb, war durch Liebessprüche und Versprechen die Flamme am brennen zu erhalten. Das Ziel war eine weite Reise. Weite Reise und ein großes Risiko, viel Geld – spielte keine Rolle, um sich der Liebe hinzugeben, die er haben wollte. Nun ist Magowan in einer perfekten Beziehung. Es ist jene Frau, um die er vor paar Monaten kämpfte. Aber von Liebe zu sprechen fällt nun schwer.

Denn der Alltag ist schon nach der ersten Woche eingebrochen, indem Magowan zu seiner Geliebten gereist ist. Wie lange dauerte diese Verliebtheit, diese Liebe? Wann hat sie aufgehört? Hat die Verliebtheit aufgehört, nachdem klar war, dass er in einer Beziehung ist? Magowan ist eigentlich kein Beziehungsmensch. Er sehnt sich zwar nach Nähe, Zuneigung und Aufmerksamkeit. Dennoch ist für ihn eine Beziehung ein aufwendiger und anstrengender Akt. Wenn eine Beziehung scheitert, bedeutet das für Magowan eine schwere Niederlage. Es folgt eine lange Zeit des Single-Daseins, der Sehnsucht nach einer glücklichen Beziehung. Eigentlich ist Magowan mehr single als vergeben. Doch dafür ist keine Zeit, es ist nicht wichtig, zu dieser sentimentalen Zeit zurückzukehren.

Magowan hat genug gelitten und genug Zeit gehabt, sich über gescheiterte Beziehungen Gedanken zu machen. Die aktuelle Beziehung scheint perfekt zu sein: Wenig Konflikte, einige Gemeinsamkeiten, weitreichende Zukunft. Doch die Zeiten, während Magowan die Beziehung aufbaute, sind eindeutig vorbei. Die Freude, die Schmetterlinge. Die vielen Dinge, die man sich leidenschaftlich erzählte, ja es kaum abwarten konnte, wieder zu Wort zu kommen, weil man das Gefühl hatte, von der Welle getragen werden. Ihr Resonanz zu verpassen und maximale Leidenschaft zu spüren. Das Gefühl, den Deckel für den Topf gefunden zu haben. Schweigen. Kühle Mimik. Sekunden die in Stunden ticken. Manchmal auch bisschen Zweifel. Manchmal auch ein bisschen Selbstaufgabe, um Liebe zu erhalten. Das ist Liebe.

*Magowan ist ein Fantasiename. Der Autor wurde von wahren Begebenheiten inspiriert.